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Das Ägypten-Dilemma des Westens

Andreas Gorzewski29. Juli 2013

Der Westen steckt in einem Dilemma. Er kann Mursis Absetzung nicht gutheißen. Scharf verurteilen will er den Umsturz aber auch nicht. Außerdem haben USA und EU offenbar kaum Druckmittel gegenüber Kairo.

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Anhänger der Muslimbruderschaft demonstrieren für Mursi (Foto: Reuters)
Anhänger der Muslimbruderschaft demonstrieren für MursiBild: Reuters

Die westlichen Regierungen sind mit ihrer Ägypten-Politik in einer Zwickmühle. Ihr weitgehendes Schweigen zum Putsch gegen den gewählten Präsidenten Mohammed Mursi lässt ihr Beharren auf Demokratie unglaubwürdig erscheinen. Wenn sie jedoch Mursis Absetzung durch das Militär am 3. Juli 2013 allzu scharf verurteilen und die Zusammenarbeit mit der Übergangsregierung verweigern, können sie in Kairo nicht mehr mitreden.

Der Westen will nach Einschätzung von Günter Meyer, Leiter des "Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt" an der Universität Mainz, unbedingt seinen Einfluss in Ägypten wahren. Das Land spielt in der Nahost-Strategie von Amerikanern und Europäern seit Jahrzehnten eine zentrale Rolle. Der Umsturz gegen die Muslimbruderschaft komme eigentlich weder den USA noch der Bundesregierung völlig ungelegen, sagt Meyer im DW-Gespräch. Allerdings stehe dies im Konflikt mit dem Anspruch, für demokratische Werte einzutreten. "Wie immer man es drehen will, es ist offensichtlich, dass es sich hier um einen Militärputsch handelt", betont der Mainzer Professor.

Auch unter Mubarak kam Demokratie nicht zuerst

"In dieser Zwickmühle steckt man nicht erst seit der Absetzung Mursis" meint Christian Achrainer, Ägypten-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Schon während der Herrschaft des 2011 gestürzten Langzeitmachthabers Hosni Mubarak habe der Westen vor allem auf Stabilität gesetzt. Die USA und die EU seien an Energiesicherheit, dem Kampf gegen den Terrorismus und dem Fortbestand des Friedensvertrages zwischen Ägypten und Israel interessiert. Die Forderung nach Demokratie und Menschenrechten sei dagegen in den Hintergrund gerückt.

Massendemonstration am 26.07.2013 von Anhängern des Umsturzes gegen Mursi. (Foto: Reuters)
Auch Anhänger des Umsturzes gingen zu Hunderttausenden auf die StraßenBild: Reuters

Vor allem nach dem Umsturz balancieren Politiker und Diplomaten zwischen strategischen Interessen und rhetorischen Ansprüchen. Kaum jemand im Westen verlangt, Mursi wieder ins Amt einzusetzen. Dennoch steht die Machtübergabe an eine neue gewählte Regierung weit oben auf der Liste der Appelle. Vordringlich ist für die Regierungen in Europa und den USA, dass die Gewalt nicht weiter zunimmt. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) appellierte an die ägyptischen Behörden, "friedliche Demonstrationen zuzulassen und alles zu tun, um eine weitere Eskalation zu vermeiden". Die EU verlangte die Freilassung aller politischen Gefangenen einschließlich Mursi. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton will bei ihrem aktuellen Ägyptenbesuch sowohl die neue Übergangsregierung als auch die Muslimbruderschaft, die Mursi stützt, zum Dialog bewegen. Auch US-Außenminister John Kerry forderte, das Blutvergießen zu stoppen. Am Wochenende waren mindestens 80 Menschen bei gewaltsamen Zusammenstößen getötet worden.

Druckmittel auf Regierung in Kairo fehlen

Jenseits der Mahnungen zu Besonnenheit, Dialog und Rückkehr zur Demokratie stellt sich die Frage, welche Druckmittel der Westen hat. Die USA überweisen jedes Jahr 1,5 Milliarden Dollar an die ägyptischen Streitkräfte. Laut US-Gesetz darf diese Hilfe eigentlich nicht an eine Regierung fließen, die durch einen Putsch an die Macht gekommen ist. Doch laut Meyer wüssten die Militärs am Nil nur zu gut, dass Washington den Geldhahn nicht zudrehen werde. Die strategische Zusammenarbeit mit der ägyptischen Armee sei den USA zu wichtig. Deshalb drücke sich die US-Regierung davor, den Umsturz als Putsch zu bezeichnen und schiebe nationale Interessen vor. "Dieses Gesetz hat sich nicht als scharfe Waffe erwiesen, um den Militärputsch rückgängig zu machen oder Druck auszuüben", erklärt Meyer.

Auch die EU hat offenbar kaum Hebel, um die Entwicklung in Kairo zu beeinflussen. Brüssel kann zwar seine Hilfen und Förderprogramme an Bedingungen knüpfen. Allerdings bringe das wenig, schränkt DGAP-Experte Achrainer ein. Zum einen fehlten der krisengeschüttelten EU die Mittel für Angebote, die die Machthaber in Kairo zu einem Kurswechsel bewegen könnten. Zum anderen sei es schwierig, die Mitgliedstaaten der Europäischen Union für solche Angebote auf eine gemeinsame Linie einzuschwören. Ein leichterer Zugang für ägyptische Landwirtschaftsprodukte etwa wäre durchaus etwas, das die Führung in Kairo interessiere, meint Achrainer. Doch "wenn die skandinavischen Staaten eher bereit wären, eine Marktöffnung im Agrarbereich in Aussicht zu stellen, dann wären die südeuropäischen Staaten dagegen", meint der Politikwissenschaftler.

Ein Anhänger Mursis bei einer Kungebung am 26.7.2013 in Kairo. (Foto: Reuters)
Die Mursi-Anhänger beklagten allein am vergangenen Wochenende mindestens 80 ToteBild: Reuters/Mohamed Abd El Ghany

Ansprechpartner für den Westen fehlen

Nicht nur die Druckmittel fehlen, auch Ansprechpartner für das Thema Demokratie sind Achrainer zufolge rar. Die wichtigsten Akteure im eskalierenden Machtkampf sind die Muslimbrüder und die Militärs. "Beides sind keine Akteure, die man aus westlicher Sicht unbedingt als pro-demokratisch bezeichnen kann", meint Achrainer. "Man hat im Moment keinen wirklichen Partner, den man unterstützen kann." Darüber hinaus würde eine einseitige Einflussnahme für das eine oder andere Lager auf massive Ablehnung in dem Krisenstaat stoßen.

Der Forscher der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik empfiehlt im diplomatischen Umgang mit Ägypten vor allem Zurückhaltung. Mit einem rechthaberischen Auftreten sei dort wenig zu erreichen. Darüber hinaus müsse der Gesprächsdraht zu vielen politischen Gruppen neu aufgebaut werden. "In der aktuellen Krise muss man leider Gottes akzeptieren, dass die Einflussmöglichkeiten sehr gering sind", zieht Achrainer Bilanz.

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