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Politik

Gelingt der "Jamaika-Kuchen"?

Kay-Alexander Scholz | Richard A. Fuchs
16. November 2017

Gibt es vor dem Wochenende ein "Go" oder ein "No-Go" für weitere Verhandlungen zu einem Jamaika-Bündnis in Berlin? Hohe Erwartungen, Nervosität und beginnende enttäuschte Liebe prägen das Geschehen ohne Rezept.

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BdT Berlin Fortsetzung der Sondierungsgespräche
Der Ort der Verhandlungen: die parlamentarische Gesellschaft in BerlinBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Man solle sich doch bitte zeitnah einigen und daran denken, was man zu den Wahlen versprochen habe. Oder: Aus Machtinteresse werde man sich schon einigen, nicht aus Überzeugung. Das sind noch die optimistischsten Aussagen einer spontanen Straßenumfrage im Berliner Regierungsviertel zur ersten Runde der Verhandlungen für eine neue Regierungskoalition in Deutschland aus Union (CDU/CSU), Liberalen (FDP) und Grünen - "Jamaika" genannt, weil die Parteifarben den Farben der Flagge der Karibikinsel entsprechen.

Einigung noch vor Weihnachten? Nicht sicher. Eher innerhalb von zwei Monaten, also erst im neuen Jahr, hieß es weiter bei den Passanten. Sie äußerten auch, dass es eigentlich egal sei, weil sich sowieso nichts ändern würde. Oder es wird gesagt: Es werde gar nichts. Schließlich seien die Parteien so stur, dass es zu Neuwahlen kommen müsse.

Die Antworten der nicht repräsentativen Umfrage decken sich mit dem, was professionelle Meinungsforscher zum Beispiel vom Institut Infratest Dimap zuletzt festgestellt haben: nämlich ein etwas eingetrübtes Bild passend zum nebligen November nach einem goldenen Oktober.

Zickzackkurs: Die Zustimmung zu "Jamaika"

Zunächst gab es eine gewisse Euphorie in Deutschland über eine auf Bundesebene so noch nie dagewesene Koalition. Im Oktober ergab der Deutschland-Trend von Infratest Dimap, dass Dreiviertel der Deutschen an ein solches Bündnis glauben. Auch bei den Anhängern der vier beteiligten Parteien war die Stimmung exzellent. Einen Monat später dann ergab der Deutschland-Trend sinkende Zustimmungswerte, sowohl was den Glauben auf eine Einigung der politischen Partner angeht (minus sieben Prozentpunkte), als auch bei der Frage, ob eine solche Koalition eigentlich gut sei (minus 12 Prozentpunkte). Je länger erst einmal sondiert werde, umso stärker erodiere der Glaube an "Jamaika", sagen die Demoskopen. Ganz schlimm davon betroffen seien die Grünen: Nur noch 55 Prozent sind laut Oktober-Messung dafür - ein Rückgang von 21 Punkten binnen vier Wochen.

Richard Hilmer
Meinungsforscher Hilmer: "Hohe Erwartungen"Bild: DW/H. Kiesel

Angst vor enttäuschter Liebe? Richard Hilmer, Mitgründer und Geschäftsführer von Infratest Dimap erinnerte im Bayerischen Rundfunk (BR) an die hohen und vielfältigen Erwartungen an "Jamaika". Für die Grünen-Wähler seien Ökologie und soziale Gerechtigkeit ganz wichtig. Bei den anderen Wählern seien es momentan eher Fragen der Flüchtlingspolitik und der Inneren Sicherheit. Doch damit nicht genug der Herausforderungen, so Hilmer. Schließlich habe die Bundestagswahl auch die rechtspopulistische AfD in den Bundestag gebracht. Das sei eine Zäsur, die Parteienlandschaft habe sich geändert. Nun müssten die anderen Parteien auch einen "neuen Politikstil finden, mit den Bürgern zu kommunizieren".

Falsche Zutaten? Dann hilft auch ewiges Rühren nicht!

Zur Erinnerung: "Jamaika" ist derzeit die einzige Option für eine Regierung im neu gewählten Bundestag, die auch eine Mehrheit hat. Denn die andere Option, die SPD, der ehemalige Regierungspartner von Angela Merkel, hatte noch am Wahlabend aufgrund eines historisch schlechten Abschneidens der Sozialdemokraten signalisiert: Wir steigen aus, keine neue Koalition mit Merkel, das ziehe die SPD nur noch weiter nach unten.

Team der Horbacher Mühle
Eine Frage der Zutaten: Team der "Horbacher Mühle"Bild: Horbacher Mühle

"Jamaika"-Fans in Deutschland sagen, das könne ein Projekt der Erneuerung sein - und zu einem neuen Bündnis von Ökologie und Ökonomie führen. Wirtschaftlich treffen sich diese Pole in Deutschland schon bei vielen kleinen Unternehmen, wie zum Beispiel der "Horbacher Mühle" in Nordrhein-Westfalen. Zwölf Mitarbeiter mischen hier erlesene Backmischungen. So wie Merkel das beim Backen eines "Jamaika-Kuchens" in Berlin derzeit auch versucht.

Geschäftsführer Johannes Dobelke empfiehlt den Berlinern, mutig und pragmatisch vorzugehen. "Manchmal mischt man Zutaten und probiert dann was rauskommt." Auch die vier Parteien sollten schauen, ob aus den vorhandenen Zutaten was Schmackhaftes wird. "Hat man allerdings die falschen Zutaten, wird es vom vielen Rühren auch nicht besser", warnt der Mühlenbesitzer. Aus seiner Sicht aber sei "Jamaika" anstrebenswert. Jamaika könnte wirtschaftliche Vernunft, ökologische Ziele und den Blick fürs Große-Ganze zusammenbringen.

Notlösung Neuwahlen

Welches Ergebnis brächten Neuwahlen? meinungsforscher Hilmer erinnerte im BR an die "volatile Grundstimmung", also an das Auf und Ab in der Frage, welche Partei der Wähler nun am besten findet. Deshalb sei das Ergebnis von möglichen Neuwahlen nicht so einfach vorhersehbar. Der Gang zur Wahlurne würde "aufgrund einer völlig neuen Grundlage stattfinden", so Hilmer. Viele Wähler von Grünen und FDP hätten bei der Bundestagswahl schließlich vor allem taktisch und nicht aus vollster Überzeugung gewählt.

Warten auf die Eil-Meldung

Möglicherweise enden die Sondierungen nicht schon vor dem Wochenende wie angedacht, sondern erst danach. Es heißt also: Warten. Warten auf eine Eilmeldung vom Erfolg oder Misserfolg der Sondierungen. Nervös sind nicht nur Wähler und Journalisten. Nervös ist vor allem die Wirtschaft. Zahlreiche Lobbyverbände haben die Sondierungswochen dazu genutzt, ihre Belange noch einmal öffentlich kund zu tun. Am Donnerstag hat dies auch der Tankstellenverband getan. "Wir schauen dem Spektakel lieber noch ein paar Tage zu, wenn sicher ist, dass dann etwas Zukunftsweisendes herauskommt", sagt der Verbandsgeschäftsführer Jochen Wilhelm.

Zukunftsweisend hieße für ihn, dass die Jamaika-Parteien den 14.000 Tankstellen-Pächtern in Deutschland ihre Würde zurückgegeben. Bislang seien diese selbstständigen Tankstellenbesitzer von den meist ausländischen Mineralölkonzernen schamlos ausgebeutet. Vor allen Augen würden Gewinne von den internationalen Konzernen vom Pächter abgeschöpft, während die Tankstellen-Pächter auf den Risiken sitzen blieben - bei 80-Stunden-Arbeitswochen und weniger als 2000 Euro Verdienst.

Den Grünen, die ein Ende der Verbrennungsmotoren heraufbeschwören, riefen die Tankstellen-Lobbyisten zu: "Entscheidend ist nicht, was das Auto antreibt, sondern was hinten rauskommt." Jamaika könne nur erfolgreich sein, wenn es keine Verbotskoalition sei, sondern "technologieoffen" agiere.