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Energiewende: Zukunft der Kohle

Stuart Braun
30. November 2021

Der Kohleausstieg soll kommen, zugunsten der erneuerbaren Energien. Doch gerade steigen die Emissionen weltweit. Um die Wirtschaft anzukurbeln, nach fast zwei Jahren Coronakrise, nutzen viele Länder wieder mehr Kohle.

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Rauch steigt aus drei Schornsteinen auf
Diesen Winter wird möglicherweise wieder mehr Kohlestrom produziert. Experten sagen aber, die Tage des fossilen Brennstoffs sind gezähltBild: Charlie Riedel/AP/picture alliance

Man könnte meinen, dass es Covid-19, die Debatten um den Klimawandel und Fridays for Future nie gegeben hätte. Die Emissionen, verursacht durch Kohlekraftwerke, nehmen weltweit zu und erreichen wieder Höchststände wie in Vorpandemiezeiten - allen voran in China. Das geschieht inmitten einer weltweiten Energiekrise. Steigende Öl- und Gaspreise, Wintereinbruch und auch der hohe Energiebedarf der sich wieder erholenden Volkswirtschaften haben dazu geführt, dass die Nachfrage nach Kohle nach einer langen Phase des Rückgangs nun wieder gestiegen ist.

Dabei hat die Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow diesen Trend noch verstärkt. Statt den Abschied vom fossilen Energieträger Kohle zu besiegeln, einigte man sich lediglich auf ein "Phase-down", also eine schrittweise Reduzierung der Kohleverstromung. Zu Beginn der COP26 hatte Alok Sharma, Präsident der Klimakonferenz, noch gehofft, dass der Kohleausstieg von der Weltgemeinschaft besiegelt werden könnte, um so die globale Erwärmung auf etwa 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Aber das ist nicht gelungen.

"Grünes Licht für mehr Kohleförderung", das war die Reaktion des ehemaligen australischen Rohstoffministers Matt Canavan, nachdem die Verpflichtung zum Kohleausstieg in letzter Minute verwässert wurde.

"Länder in unserer Region, wie Indien, China und Südostasien, sind Wachstumsstaaten. Sie bringen ihre Industrien voran. Ihre Nachfrage nach Kohle ist daher riesig", sagt er. Laut Experten könnte diese abgeschwächte Formulierung im Abschlussdokument von Glasgow die Aussichten auf einen Kohleausstieg bis 2030 oder spätestens 2040 deutlich schmälern. "Es war wirklich enttäuschend", sagt Catharina Hillenbrand von der Neyen, Leiterin der Forschungsabteilung des Klima-Thinktanks Carbon Tracker. "Mit dem verwässerten Text riskiert man nun einen ungeordneten Übergang, den es so gar nicht gebraucht hätte." 

Kohle-Comeback wahrscheinlich nicht von Dauer

Bei der aktuell gestiegenen Nachfrage nach Kohle handelt es sich jedoch nur um ein "kurzfristiges Phänomen", so Hillenbrand von der Neyen weiter. Das hänge mit der wirtschaftlichen Erholung nach dem pandemiebedingten Herunterfahren zusammen. "Ich würde mich davor hüten, hier von einer Renaissance der Kohle zu sprechen." 

Vielmehr geht Hillenbrand von der Neyen davon aus, dass der Bedarf nach Kohle schon bald wieder zurückgehen wird, auch in China. Die Volksrepublik hatte 2020 mehr als die Hälfte des weltweiten Kohlestroms produziert. Als Grund dafür sieht die Expertin die billigeren erneuerbaren Energien.

Infografik Emmissionsbilanz Energieträger 2020 DE

"Der langfristige Trend geht hin zu stark sinkender Auslastung", sagt sie. Das bedeutet, dass Kohlekraftwerke in Zukunft - wegen der Konkurrenz durch erneuerbare Energien - nicht mehr voll ausgelastet sind und unrentabel werden. Es befinden sich zwar noch immer neue Kohlekraftwerke im Bau, doch das führt zu einem noch größeren Überangebot. Laut Carbon Tracker sind daher 27 Prozent der Kohlekraftwerke weltweit unrentabel geworden.

"Wer jetzt noch vollständig auf die Kohle setzt, kann damit schon bald auf die Nase fallen", so Hillenbrand von der Neyen zu den schlechten langfristigen Aussichten für die Kohle.

Gaurav Ganti, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Thinktank Climate Analytics, sieht das genauso. "Es ist unwahrscheinlich, dass diese Renaissance der Kohle angesichts des Gegenwindes durch die kostengünstigen erneuerbaren Energien lange anhält", sagt er. 

Auch wenn China und Indien ihre Wirtschaft mit Kohle wiederbeleben wollen, bleibt der langfristige Trend in Sachen Kohle rückläufig. Laut dem Thinktank E3G wurden seit 2015, als das Pariser Abkommen unterzeichnet wurde, weltweit 76 Prozent weniger Kohlekraftwerke geplant. Dies entspricht der gesamten Kohlekapazität Chinas.

Zufriedenheit ist fehl am Platz

Im vergangenen Jahr 2020 kamen die Mittel für rund drei Viertel der weltweiten Investitionen in Kohlekraftwerke aus China. Im September dieses Jahres hat die Staatsführung jedoch entschieden, keine Kohleprojekte außerhalb des Landes mehr zu finanzieren. Bis 2025 soll der eigene Kohleverbrauch zudem deutlich heruntergefahren werden. Dies sei ein wichtiger Schritt hin zum Null-Emissions-Ziel, das sich China bis zum Jahr 2060 gesteckt hat. Für Ganti sind das wichtige Signale für den unvermeidlichen Niedergang der Kohle.

"Es gibt jedoch keinen Grund, sich zufrieden zurückzulehnen", ergänzt er, auch nicht mit der Verpflichtung der 47 Staaten auf der COP26 zur angestrebten Transformation – weg von der Kohle, hin zu erneuerbaren Energien. "Wir haben ermittelt, dass man - wenn man die Erwärmung, so wie im Pariser Abkommen festgelegt, auf durchschnittlich 1,5 Grad Celsius beschränken will - schneller handeln muss. Die Industrieländer müssten sich bis 2030 von der Kohleverstromung verabschieden. Weltweit wäre bis 2040 Schluss. Die Entwicklungsländer werden dafür enorme internationale Unterstützung brauchen." 

Und obwohl die Klimakonferenz von Glasgow der Welt ein verbindliches Bekenntnis zum Kohleausstieg schuldig geblieben ist, werden sich einzelne Länder früher von der Kohle verabschieden.

So strebt die neue Regierungskoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Freien Demokraten in Deutschland einen Kohleausstieg bis 2030 an, acht Jahre früher als bisher geplant.

Deutschland ist nach Polen der zweitgrößte Kohleproduzent in Europa – und verbraucht auch am meisten davon. Trotz des Abschieds von der Kernenergie hat es das Land geschafft, den Verbrauch von Kohlestrom zwischen 2010 und 2020 zu halbieren. Zwar ist die Nachfrage in diesem Jahr auch in Deutschland in die Höhe geschnellt. Grund waren aber zum Teil ungewöhnlich schlechte Wetterbedingungen für Wind- und Solarenergie.

Finanzierung eines globalen Kohleausstiegs

Einige EU-Länder, die USA und Deutschland unterstützen Südafrika finanziell beim Kohleausstieg. Das Land produziert 90 Prozent seiner Energie mit Kohle und ist damit der größte Emittent in Afrika. Die ehemalige deutsche Umweltministerin bezeichnete die in Glasgow vereinbarte Initiative in Höhe von 8,5 Milliarden US-Dollar (7,3 Milliarden Euro) zur Finanzierung der Energiewende - weg von der Kohle, hin zu erneuerbaren Energien - als potenzielle "Blaupause", auch für andere Regionen.

Portugal hat gerade die Kohleverstromung komplett eingestellt, zwei Jahre früher als geplant.

Auch die Ukraine, die große Mengen fossiler Energieträger produziert und verbraucht, hat sich verpflichtet, die Kohleverstromung bis 2035 oder spätestens 2040 zu beenden. Auf der COP26 trat das Land der Powering Past Coal Alliance (PPCA) bei, einer Koalition aus Regierungen, Unternehmen und Organisationen, die sich für einen beschleunigten Kohleausstieg einsetzen.

Wertlose Kohlekraftwerke

Forscher warnen bereits: Regierungen, die an der Kohle festhalten, riskieren "Stranded Assets" - wörtlich übersetzt: gestrandete Vermögenswerte. Damit sind Kohlekraftwerke gemeint, die niemand mehr braucht und damit wertlos geworden sind. Während weltweit an der Dekarbonisierung gearbeitet wird, riskieren solche Staaten zusätzlich hunderttausende Arbeitsplätze.

Laut einem Bericht vom Juni 2021 wird ein Drittel der Kohlebergwerke in Europa, Nordamerika und Australien bis 2040 zu "Stranded Assets", wenn die Länder ihre Klimaziele erreichen sollten. Australienzum Beispiel könnte in diesem Szenario 25 Milliarden US-Dollar (22 Milliarden Euro) pro Jahr verlieren. Weltweit könnten 2,2 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen, wenn die Länder nicht rasch auf ein saubereres Energiesystem umstellen.

"Die Regierungen stehen hier vor der Wahl", sagt Gaurav Ganti. "Entweder sie investieren in die fossilen Brennstoffe von gestern und riskieren "Stranded Assets" - oder sie investieren in erneuerbare Energien und bringen uns dem 1,5 Grad Ziel näher."

Adaptiert aus dem Englischen von Tabea Mergenthaler

Indonesien: Kohleausbau gefährdet Klimaziele

DW Autor l Kommentatorenfoto Stuart Braun
Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.