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Debatte um Indigene bei Protesten

Antonia Schaefer
18. Mai 2021

Zehntausende protestierten in den vergangenen Wochen in Kolumbien. Auch viele Mitglieder der indigenen Völker nahmen an den Demonstrationen teil. Ihre Anwesenheit spitzte die öffentliche Diskussion zu.

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Kolumbien | Proteste der indigenen Bevölkerung
Bild: Gabriel Aponte/Getty Images

In verwackelten Handyvideos sieht man Menschen schießen. Eine Frau brüllt "Raus hier, Indianer.” Ein Wagen mit Mitgliedern der Minga, einem Protestzusammenschluss mehrerer indigener Völker, versucht eine Straße entlangzufahren. Sie werden gestoppt. Wieder fallen Schüsse. Am Ende muss Daniela Soto ins Krankenhaus. Sie ist eine der Anführerinnen der indigenen Jugend. Sie soll zwei Schüsse in den Bauchbereich bekommen haben und operiert worden sein.

Die Szenen spielen in Cañasgordas, einem der reichen Viertel im Süden Calis. Es ist nicht die einzige gewalttätige Konfrontation, die die Minga erlebt, seit sie sich den Protesten angeschlossen hat, die Kolumbien derzeit erschüttern. Die Konfrontationen und die ausführliche Diskussion in nationalen Medien und auf Twitter geben einen Einblick in eine Gesellschaft, in der indigene Völker noch immer als eine außenstehende Gruppe verstanden werden.

"Bürger und Indigene"

Obwohl nur wenige tausend Indigene an den Protesten teilnehmen und sie damit einen kleineren Teil der Streikenden ausmachen, hat ihre Präsenz zu einer hitzigen Debatte zwischen Protestgegnern und -befürwortern geführt.

In einem Fernsehbeitrag sprach eine Reporterin von "Bürgern und Indigenen" und implizierte damit, Indigene seien keine Bürger. In vielen Tweets schreiben Menschen davon, dass die Minga Cali "belagere” und mit Waffengewalt gegen Bürger vorgehe. Präsident Iván Duque bat sie sogar, in ihre Territorien zurückzukehren, um weitere "unnötige Konfrontationen zu vermeiden”.

Kolumbien Aquilino Cuene
Aquilino Cuene vom Volk der NasaBild: Antonia Schaefer/DW

"Der Staat und die nationalen Medien wollen uns die Schuld an der Gewalt geben”, sagt Aquilino Cuene. Der 50-Jährige gehört dem Volk der Nasa an und wohnt im Norden des Departamento Cauca. "Das ist eine Lüge. Wir sind der Bitte der Demonstrierenden gefolgt, als Vermittler an den Streiks teilzunehmen.”

Rassistische Hintergründe

Es gebe allerdings Überschneidungen zwischen den Forderungen der Protestierenden und denen der Indigenen. "Soziale Ungleichheit und Gewalt," sagt Cuene. "Das kolumbianische Volk muss zusammenstehen, um diese großen Probleme zu lösen." Die Indigenen seien ebenso vom Verschwindenlassen und der Ermordung von Menschen betroffen wie andere Bevölkerungsschichten. Wenn nicht sogar mehr: Laut der NGO Indepaz sind seit dem Friedensvertrag 2016 mindestens 300 indigene Anführer und Anführerinnen getötet worden.

Die starke Ablehnung indigener Völker und ihrer Teilnahme an den Protesten hat ohne Frage rassistische Hintergründe. Es geht darum, wie Land verteilt werden sollte und ob Bevölkerungen, die lange vor der Kolonialisierung hier ansässig waren, sich den Regeln eines Staates beugen müssen, der ihre Vorfahren tötete. 

Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war es nicht verboten, Indigene zu jagen und zu töten. 1991 bekamen sie zum ersten Mal die staatliche Erlaubnis, in ihren Gebieten autonome Gerichte einzuführen, insofern sie die Standards der Menschenrechte nicht verletzten. "Die Gerichte funktionieren auch außerhalb der Gebiete", sagt Oscar Manuel Cárdenas Avendaño, Soziologe in Medellín. "Doch eigentlich nur, um Beschuldigte festzuhalten und an die Behörden zu übergeben."

Indigene und Drogenhandel?

Auch während der Proteste in Cali hat die Guardía Indigena - eine Art Ordnungsdienst in den Schutzgebieten, der keine Waffen trägt - einen bewaffneten Polizisten festgehalten, der sich in Zivil unter die Demonstrierenden gemischt haben soll. Dieser Vorfall gab vielen Menschen weiter Zündstoff für ihre Ablehnung: Ihrer Meinung nach kämen die Indigenen in die Städte, um ihre Agenda in den Vordergrund zu stellen, die Bevölkerung durch Blockaden von Lebensmitteln abzuschneiden oder ihre eigenen Regeln durchzusetzen, ohne die kolumbianischen Gesetze zu achten.

Kolumbien Jorge Iván Ospina
Bürgermeister von Cali: Jorge Ivàn OspinaBild: Antonia Schaefer/DW

Hinzu kommt der Vorwurf, insbesondere Indigene aus der Region des Departamento Cauca seien Mitglieder der Guerrilla und finanzierten sich über den Drogenhandel. Jetzt, während der Proteste, so das Argument, seien Guerilleros der Ex-Farc und der ELN unter dem Deckmantel des indigenen Widerstandes nach Cali gekommen, um Unruhe zu stiften.

Er kenne diese Argumente, sagt Fabian Mulcue, Mitglied der Guardia Indigena. "Viele Menschen sagen uns, wir gehörten zur Guerilla, die Guerilla sagt uns, wir seien Agenten des Staates. Sie wollen nicht verstehen, dass wir allein für uns stehen." So könne er auch nicht ausschließen, dass Paramilitärs sich unter die Protestgegner mischten, um gezielt auf die Minga zu schießen.

Denn der Konflikt, gerade im Departamento Cauca, ist komplex. Mindestens ein indigener Anführer aus der Region hat in einem Interview mit El Pais bestätigt, dass einige Indigene dort in der Vergangenheit Koka für den Drogenhandel anbauten. Gleichzeitig sollen rund neun Prozent der Anbaugebiete für Koka des Landes in indigenen Territorien liegen, wie eine Studie des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung besagt.

Andererseits sind die Kartelle sowie weitere bewaffnete Akteure, wie etwa Paramilitärs, häufig eine Gefahr für die indigene Bevölkerung. Die Gebiete, in denen sie leben, sind wichtige Transitzonen für den Drogenhandel. Und bewaffnete Gruppen sind nicht für ihre Diplomatie bekannt.

Weiter verhärtete Fronten

Der Widerstand der Indigenen in Kolumbien hat eine lange Tradition. Ihre Forderungen und ihre Präsenz stoßen längst nicht überall auf Zuspruch. Ihre Teilnahme an den derzeitigen Protesten machte zwar nur einen kleinen Anteil der Demonstrierenden aus, doch vor dem Hintergrund der aufgeheizten Stimmung und dem Unverständnis von Protestierenden und Protestgegnern füreinander, verhärtete ihre Anwesenheit die Fronten.

Kolumbien Noelia Campo
Noelia Campo ist die Sprecherin des regionalen Rats der Indigenen im Cauca, KolumbienBild: Antonia Schaefer/DW

Zumindest, wenn man den Kommentaren auf Twitter traut - Jorge Ospina, Bürgermeister der Stadt, ist anderer Meinung. "Zwar ist die Minga eine weitere Zutat in der derzeit unübersichtlichen nationalen Lage, doch ich bin davon überzeugt, dass sie eine beruhigende Wirkung auf die Verhandlungen mit den Demonstrierenden hat."

Am vergangenen Mittwoch ist die Minga auf ihren bunten Bussen, Chivas genannt, aus Cali abgereist. Noelia Campo, Sprecherin des regionalen Rats der Indigenen im Cauca, CRIC, ist überzeugt: "Wir haben unseren Beitrag zu einem friedlichen Protest hier erfüllt." Nun sei es an der Zeit, zu gehen. "Wir werden den Widerstand nicht aufgeben. Der Streik ist nicht nur in Cali, der Streik findet im ganzen Land statt. Und wir Indigenen leisten den besten Beitrag in unseren Territorien."