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Kolumbiens Suche nach den Toten

Nicolas Martin29. Juli 2015

Auf einer Mülldeponie vermuten kolumbianische Ermittler eines der größten urbanen Massengräber weltweit. Die Suche nach den Toten wird auch zum Gradmesser für die Ernsthaftigkeit des Friedensprozesses.

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Kolumbien Suche nach Leichen in Massengrab in Medellin
Aktion von Angehörigen der Vermissten auf der Mülldeponie in MedellínBild: Reuters/F. Builes

Eine Deponie mit Müll ist zur Hoffnung vieler Mütter, Väter und Großeltern geworden - und in gewisser Hinsicht zu einem Sinnbild der Geschichte einer ganzen Nation. Unter 24.000 Kubikmetern Müll vermuten die kolumbianischen Behörden zwischen 50 und 300 Opfer des bewaffneten Konflikts - eines der größten städtischen Massengräber weltweit. Es soll mehrere Monate dauern, bis Klarheit über die genauen Zahlen herrscht - so lange werden sich die Ermittler Meter für Meter durch den Müll der Vergangenheit wühlen.

"Seit dreizehn Jahren kämpfen wir, damit dieser Prozess endlich in Gang kommt. Das heute macht uns Mut", sagt Luz Elena Galeano der Nachrichtenagentur EFE bei einer Zeremonie zum Beginn der Sucharbeiten am Rande der Mülldeponie.

50 Jahre Konflikt

Galeano und ihre Organisation "Frauen auf dem Weg zur Wahrheit" vertreten mehr als 130 Opfer der Comuna 13. Das ist der Name des Viertels, auf dem die Mülldeponie liegt. Sie erstreckt sich im Westen der Metropole Medellín.

Kolumbien Suche nach Leichen in Massengrab in Medellin
Luz Elena Galeano bei der Zeremonie am Rande der MülldeponieBild: Reuters/F. Builes

Heute leben dort knapp eine Viertel Million Menschen. Lange Zeit galt das Viertel als Hochburg linker Guerillagruppen, wie der FARC und der ELN. Ende der 90er Jahre sagten rechte paramilitärische Gruppen den Linken den Kampf an - größtenteils geduldet und gedeckt und sogar manchmal von der Regierung gefördert.

Die Toten der Müllkippe in Medellín sind, so wird vermutet, Opfer der Paramilitärs aus der Zeit zwischen 1999 und 2004. Sie tauchen auf wie ein Blitzlicht im gesamten kolumbianischen Konflikt: Insgesamt haben die letzten 50 Jahre der bewaffneten Auseinandersetzung nicht nur über 200.000 Todesopfer gefordert, sondern auch schätzungsweise mehr als sechs Millionen Menschen zu Binnenflüchtlingen gemacht.

Rund 45.000 Menschen seien verschwunden, wie der Generalstaatsanwalt Eduardo Montealegre erklärte. Davon seien bisher nur die Körper von knapp 6000 Opfern des Konflikts gefunden worden. "Es liegt viel Arbeit vor uns", so Montealegre.

Für den deutschen Sonderbeauftragten des kolumbianischen Friedensprozesses, Tom Koenigs, nimmt diese Art von Aufarbeitung einen wichtigen Stellenwert ein. "Für die Opfer ist es unglaublich wichtig zu wissen, wo ihre Angehörigen liegen, dass sie ein ordentliches Grab bekommen und dass ihre Würde wieder hergestellt wird."

Deadline für den Frieden?

Die Aufarbeitung sei aber auch wichtig für das ganze Land. "Viele sagen, wir sind bereit zu verzeihen, aber wir müssen wissen, wem wir verzeihen", so Koenigs. Seit knapp vier Monaten ist er als Sondergesandter tätig - eine turbulente Zeit: Noch Ende 2014 war der Friedensvertrag zwischen der Regierung und der FARC, der größten Guerillagruppe des Landes, von vielen Experten als greifbar gesehen worden. Anschläge auf Seiten der Guerrilla und Gegenangriffe der Regierung haben in den letzten Monaten aber wieder für Misstrauen auf beiden Seiten gesorgt.

Seit dem 20. Juli herrscht nun ein Waffenstillstand. Und sogar Kolumbiens Präsident Santos hat sich zum ersten Mal zu einem Ultimatum durchgerungen: "In vier Monaten werden wir eine Entscheidung fällen, ob wir den Friedensprozess fortsetzen oder nicht." Vier Monate, die darüber entscheiden, ob der Dialog endlich den historischen Durchbruch bringt, oder ob das Kämpfen und damit auch die Gewalt weitergehen.

Tom Koenigs
Tom KoenigsBild: picture-alliance/dpa/Pedersen

Für Tom Koenigs ist aber bereits die Deeskalation der aktuellen Situation ein großer Erfolg. "Ich glaube aber, dass es nun darauf ankommt, in der nächsten Zeit zu spürbaren Fortschritten zu kommen."

Seit zwei Jahren verhandeln Regierung und FARC in der kubanischen Hauptstadt Havanna. Einig sind sie sich bereits über eine Landreform zur Verbesserung der Bodenverteilung abseits der großen Städte. Die strittigen Punkte nennen sich Demobilisierung der Guerilla und politische Eingliederung. Die Opfer der Guerilla fordern Gerechtigkeit, aber "kein Guerillero und kein General wird einen Vertrag unterschreiben, der ihn gleich für viele Jahre ins Gefängnis bringt", so Koenigs. Das gestaltet die Verhandlungen schwierig.

Späte Gerechtigkeit

Geschafft hat Kolumbien diese Gratwanderung schon einmal - bei der Demobilisierung der Paramilitärs. Geringe Haftstrafen gegen Zeugenaussagen lautete damals der Deal, den rund 30.000 Paramilitärs mitgingen. Kritiker werfen dem Gesetz mit dem Namen "Frieden und Gerechtigkeit " vor, nur wenige ranghohe Paramilitärs tatsächlich dazu gebracht zu haben, die Waffen niederzulegen. Dennoch haben die Aussagen einiger Paramilitärs vor Gericht tatsächlich zu neuen Erkenntnissen geführt. So kamen auch die Ermittlungen um die Massengräber auf der Mülldeponie durch Geständnisse frühere Paramilitärs ins Rollen.

Kolumbien FARC
Auseinandersetzungen zwischen der FARC und dem staatlichen Militär Anfang JanuarBild: picture-alliance/dpa/C. Escobar Mora

"Letzten Endes muss der Friedensprozess für die Menschen spürbar werden", glaubt Tom Koenigs. In der Comuna 13 in Medellín hat es mehr als zehn Jahre gedauert bis der Demobilisierungsprozess der Paramilitärs und damit auch die andauernden Friedensbemühungen eine konkrete Form angenommen haben.

Tom Koenigs ist für die weiteren Friedensverhandlungen zuversichtlich "es wäre ein historischer Schritt, wenn sich eine militärische Bewegung auf eine zivile Bewegung reduzieren ließe." Wie lange die Aufarbeitung einer solchen Demobilisierung dauern kann, das zeigt sich aktuell auf der Müllkippe in Medellin.