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Berlin kämpft gegen Aids

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Gero Schließ
29. Oktober 2017

Zum 17. Mal lud die Berliner Aids-Hilfe zur Gala "Künstler gegen Aids". Bei dem Thema kann es niemals "Business as usual" geben, findet DW-Kolumnist Gero Schließ. Schon gar nicht in Berlin.

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Conchita Wurst
Bild: Brigitte Dummer, Sven Darmer

Ehe für alle – also alles gut? Diese Frage geht mir durch den Kopf, als ich mich auf den Weg zur Gala "Künstler gegen Aids" mache. Die Erinnerung ist noch frisch: Kurz vor der Bundestagswahl beschloss der Bundestag die Ehe für Schwule und Lesben. Also wirklich für "alle"! Ist das der Durchbruch zur Gleichberechtigung? Das Ende der Vorurteile, auch der Stigmatisierung von HIV-Infizierten? Und macht das Aids-Galas wie diese am Ende überflüssig? 

AfD und Aids

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Erstmal bin ich abgelenkt. Aufgekratzt wie beim Klassentreffen geht es im Theater des Westens zu, wo die Gala alljährlich stattfindet. Leicht plüschig ist die Einrichtung. Stadtbekannte Drag-Queens wie Gloria Viagra passen sich mit üppigen Turmfrisuren und Wimpern wie Fliegenfänger stilistisch mühelos ein. Im Blitzlichtgewitter der Fotografen räkelt sich Eurovision-Song-Contest-Ikone Conchita (Foto oben), die später auf der Bühne umjubelt wird. Doch zunächst Smalltalk mit Prosecco und ohne Häppchen.

Plötzlich wird es bitter ernst, als ich mit Barbara Becker, der Ex-Frau des ehemaligen Tennisstars Boris Becker, ins Gespräch komme. Sie engagiert sich schon länger für die Aids-Stiftung. Es geht um die rechtspopulistische AfD, die jetzt im Bundestag sitzt. Das gesellschaftliche Klima könnte sich ändern, könnte offen feindlich werden. Schon vor der Wahl hat ein AfD-Politiker die Meldepflicht für HIV-Infizierte gefordert. Barbara Becker lehnt das empört ab: "Diskriminierung"! Ein Melderegister sei der falsche Ansatz und würde die Infizierten "an den Pranger stellen". Ich stimme ihr zu.

Hauptstadt der Positiven

Doch worüber keiner hier spricht: Berlin wird nicht umsonst die "Hauptstadt der Positiven" genannt. Nirgendwo in Deutschland leben mehr HIV-Infizierte, im Moment geschätzte 17.000 Menschen. Und jedes Jahr stecken sich weitere 430 Menschen an. Sicher, die gesundheitliche Versorgung hier zieht viele an. Doch es werden auch Partys gefeiert, bei denen "Safer Sex" als uncool gilt. Ich frage mich: Wie steht es um die Verantwortung – für sich und den anderen? Nicht zuletzt ist das auch eine Steilvorlage für Rechtspopulisten wie die AfD.

Berlins früher Bürgermeister Klaus Wowereit (l.) und der amtierende regierende Bürgermeister Michael Müller mit seiner Frau Claudia bei der Gala
Berlins früher Bürgermeister Klaus Wowereit (l.) und der amtierende regierende Bürgermeister Michael Müller mit seiner Frau Claudia bei der Gala Bild: picture alliance/dpa/ZB/J. Kalaene

Überhaupt, die AfD. Sie ist bei der Gala der weiße Elefant im Raum. Das Thema, an das alle denken, über das aber kaum einer spricht. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller ist der zweite, der eine Ausnahme macht. Der SPD-Politiker, ansonsten mit dem Charme einer Büroklammer gesegnet, schwimmt plötzlich auf einer Woge der Emotionen, als er mit Verweis auf die AfD ausruft: "Ich will in deren Deutschland nicht leben". Vielfalt und Toleranz, auf diese Werte können sich hier im Theater des Westens alle einigen.

Doch draußen sieht es anders aus. Selbst im ach so liberalen Berlin. Beispiel Gastronomie. Mit dem HIV-Awareness-Award werden die "Schwulen Wirte" und ihr Regenbogen-Fonds ausgezeichnet. Einer von ihnen hat 1977 das "Andere Ufer" eröffnet, die erste offen schwule Kneipe in Berlin. Das war damals sehr mutig. Doch heute müssen im selben Kiez, in Schöneberg, schwule Bars schließen. Die Kunden bleiben weg, auch abgeschreckt von der zunehmenden Hasskriminalität. Die Statistiken decken das: "Neuer Rekord bei homophoben Straftaten in Berlin" lese ich in einer der Berliner Tageszeitungen.

HIV-Kranke aus Russland

Doch Berlin ist immer noch ein Paradies, verglichen mit Kiew, Moskau, Kairo oder gar Tschetschenien. Dort werden Homosexuelle verfolgt, verprügelt und gefoltert. Und HIV-Infizierten wird die medizinische Versorgung vorenthalten. Die Berliner Aids-Hilfe macht nicht nur politisch dagegen Front. Sie will alle HIV-Infizierten, die als Flüchtlinge nach Berlin kommen, medizinisch versorgt wissen. Auch dafür wird auf der Gala "Künstler gegen Aids" Geld gesammelt. Doch was keiner sagt: Wer hier illegal lebt oder außerhalb des Flüchtlingsstatus ohne Versicherungsschein nach Berlin kommt, der fällt durchs Raster. So grausam ist Berlin. Bürgermeister Müller und der Senat schmücken sich zwar gerne mit dem Engagement gegen Aids. Doch sie sehen zu, wie hier Menschen an Aids sterben. 

Man sieht Gero Schließ mit schwarzem Sakko und verschränkten Armen
Auch in Berlin ist der Kampf gegen Aids noch lange nicht gewonnen, sagt unser Kolumnist Gero Schließ

Spätestens jetzt wird mir klar: Auf die Gala "Künstler gegen Aids" kommt es weiter an. Mehr denn je.