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Kolumne: Berlin und die Liebe zum Eis

Gero Schließ
20. August 2017

Selbst die Italiener schauen neidisch nach Berlin: Denn die Stadt ist im Sommer Europas Eisparadies. Nur die Kanzlerin schleckt noch nicht. Doch das dürfte sich bald ändern, erfuhr unser Kolumnist Gero Schließ.

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Berliner Eispatisserie Honkey Ponkey
Bild: Niko Robert

Mit Bierkrug habe ich unsere Bundeskanzlerin schon häufig gesehen. Aber noch nie mit einem Eis in der Hand. Angela Merkel hat uns diesen intimen Augenblick noch nicht geschenkt. Diese ungeschützte Sekunde, in der wir die Zunge rausstrecken und flink über die Eiscreme schlecken. 

Geheime Eislieferungen an Merkel

Angela Merkel und Ehemann Joachim Sauer stehen in der Sonne in Neapel. (Foto: picture-alliance/ROPI/Napolipress)
Auch wenn's schwer fällt: Angela Merkel verkneift sich das Eis in der Öffentlichkeit. Selbst hier beim Urlaub auf IschiaBild: picture-alliance/ROPI/Napolipress

Dabei könnte sie mit einer öffentlichen Schlecksekunde durchaus punkten. Gerade im Wahlkampf. Und vor allem im eisverrückten Berlin, das selbstbewusst genug ist, sich selbst die Krone der "Hauptstadt des Eises" aufs sommerlich erhitzte Haupt zu setzen. Berlin eben! Man gönnt sich ja sonst nichts. 600 Eisdielen können nicht irren, oder? Darunter sind viele Neugründungen, vor allem von Eis-Hipstern, jungen Seiteneinsteigern betrieben. 7,9 Kilo Eis verzehrt jeder Deutsche im Durchschnitt jedes Jahr. Das macht sage und schreibe 113 Kugeln. In bin mir sicher: In Berlin ist es das Doppelte. 

Also los geht's, Kanzlerin! Schlecken für Deutschland! Oder - natürlich wichtiger - für den Wahlsieg. Ja, es tut sich was an der Merkelschen Eisfront. Wie ich aus gut unterrichteten Kreisen erfahren habe, lässt sich das Kanzleramt in regelmäßigen Abständen beliefern. Niko Robert, der Besitzer der Berliner Kult-Eisdiele "Hokey Pokey" am Prenzlauer Berg, hat das der DW exklusiv bestätigt. Fast immer liefert er in größeren Mengen. Geheime Eis-Partys im Kanzleramt also? Oder übt die Kanzlerin in größeren Mengen?

Porträt des Besitzers der Berliner Eispatisserie Honkey Ponkey mit Eistüte in der Hand.  (Niko Robert)
Hokey Pokey hat Kultstatus in Berlin: Niko Robert ist der Besitzer Bild: Niko Robert

Berlin im Glück. Auf dem platten Land fährt man Stunden für ein gutes Eis. Hier bei uns liegt das Süße so nah. Das Berliner Dolce Vita einmal anders.

Mozartkugel und Moscow Mule

Doch das hat den Job des Kolumnisten noch aufreibender gemacht. Sich durchkosten von einer Eisdiele zur nächsten: Fräulein Frost, Woop Woop, Vanille&Marille, Süße Sünde, California Pop und so weiter. Man weiß gar nicht, wo anfangen und möchte schon gar nicht aufhören. Früher, da gab es nur Schoko, Vanille, Erdbeere. Und wenn es ganz weltläufig sein sollte, Stracciatella. Gott, was muss das für eine trostlose Kindheit gewesen sein.

Und heute? Mein Eisladen um die Ecke hat 20 Sorten tiefgekühlt in seiner Theke. Und er wechselt täglich. Was für ein Eiswahnsinn! Vor kurzem entdeckte ich Moscow Mule. Und dicht daneben die Mozartkugel. Kulturwissenschaftlich mag diese Nachbarschaft gewagt sein. Aber es schmeckt. Und wer bleibt schon beim Blümchensex, wenn er mehr haben kann?

Lange Schlangen unerwünscht

Foto eines Plakats, auf dem steht: "Liebe Eisfreunde, bitte stellt im Hauseingang keine Räder und Kinderwagen ab. Vielen Dank. Euer Team von Rosa Canina." (Foto: DW/G.Schließ)
Chaos auf dem Bürgersteig: Warnschilder wollen das Schlimmste verhindern Bild: DW/G.Schließ

Das "eis"-tägliche Chaos beginnt, wenn die Kindergärten schließen. Dann füllen sich die Eisdielen. Vor allem am kinderreichen Prenzlauer Berg, wo es besonders viele gibt. Mütter und Kinderwagen aller Art blockieren den Gehweg. Wie bei meiner Eisdiele "Rosa Canina". Auf einem Schild werden die "lieben Eisfreunde" gebeten, doch Kinderwagen nicht im Hauseingang zu parken. Doch im Eisrausch geht das unter. Niko Robert von "Hokey Pokey" hat es noch ärger getroffen. Die täglichen Schlangen vor seiner Eisdiele waren ein Ärgernis für die umliegende Gastro-Konkurrenz. Es kam zu Pöbeleien gegen die Kundschaft. Der arme Eismann erhöhte in seiner Not die Preise, um die Kunden abzuschrecken. Frustrierendes Resultat: Die Neugier wurde noch größer, die Schlangen noch länger.

Gourmeteis

Ich habe mich gefragt, wie die Berliner Leidenschaft fürs Eis zu erklären ist. Es ist ganz einfach: Eis ist eben nicht mehr nur Eis. Es ist jetzt ökologisch, handgemacht und die Zutaten sind rein: Statt Schokopulver gibt es jetzt richtige Schokolade. Und eben echte Vanille und echtes Caramel. Gourmeteis vom Feinsten. Und das lässt auch den größten Eismuffel weich werden.

Foto von Gero Schließ mit verschränkten Armen.
Berlin ist für Kolumnist Gero Schließ ein Eisparadies

Auch für mich ist Berlin im Sommer ein Eisparadies. Aber ich gebe zu, am Anfang habe ich ganz schön geschluckt bei den Preisen. Als früher der Eismann klingelte, kostete die Kugel 30 Pfennig. Heute sind es bis zu 1.80 Euro. Doch wegen der Preise ist es bisher nicht zum Eisaufstand gekommen. Im Gegenteil.

Fast alle Berliner lieben die schöne, neue Eiswelt. Nur der Italiener um die Ecke nicht. Bei ihm wird es ruhiger. Spaghetti-Eis war gestern. Aber die legendären Eispäpste aus dem Süden lassen sich nicht entmutigen: Sie wurden bereits gesichtet, zuletzt in der langen Menschenschlange vor "Hokey Pokey". Offensichtlich ein besonders schwerer Fall von Eisspionage.