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Konflikte

Hass in Berlin

Gero Schließ
16. September 2017

Berlin und Hass, wie passt das zusammen? Leider nur zu gut, sagt unser Kolumnist Gero Schließ. Die Hass-Attacken gegen den neuen Volksbühnen-Intendanten Chris Dercon sind nur die Spitze des Eisbergs.

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Plakat: "Ihr habt die ganze Stadt verkauft" vor einem besetzten Haus in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Einen Haufen Scheiße vor der Bürotür. Und das tagelang, jeden morgen neu. So grüßte Berlin einen Neuankömmling: Chris Dercon, neuer Intendant der Berliner Volksbühne, ist hart im nehmen. Doch nach dieser Erfahrung wollte er aufgeben - nur noch weg aus Berlin, sagte er mir.

Nur noch Hass

Nachdenklicher Chris Dercon, von der Seite aufgenommen inmitten des Hangars, eienr großen ehemaligen Flughalle in Tempelhof
Jüngstes Opfer der Berliner Hasskultur: Chris Dercon, neuer Intendant der VolksbühneBild: DW/G. Schliess

Für ihn ist das reiner Hass. Und er hat recht damit, das beim Namen zu nennen. Endlich!  Das sollten wir alle tun. Denn wo soll das noch hinführen? Ist das sowas wie ein "Aufruf zum Tyrannenmord", wie die Süddeutsche Zeitung vermutet?

Seit seiner Berufung als Nachfolger von Frank Castorf weht Dercon der Wind der Anfeindung steif ins Gesicht. Worum geht es vordergründig? Dercon will die Volksbühne für andere Kunstformen wie Tanz, Musik, Experimentelles öffnen, sie zur Kunstplattform ausbauen, sie damit für internationale Kooperationen kompatibel machen. Auf Kosten ihrer kostbaren Identität, kritisieren die Anhänger Castorfs. Sie tragen die Volksbühnen-DNA als linke Traditionsbühne wie eine gottgegebene Monstranz vor sich her. Sicher, über Dercons Weg und seine Kommunikationsdefizite kann man, muss man streiten. Aber muss man Dercon und seine Leute in den doppelten Shitstrom stellen? Mit Hasstiraden in den Sozialen Medien und einer Petition gegen ihn mit mehr als 40.000 Unterschriften? Und gleichzeitig dieser gar nicht mehr virtuelle Shitstorm, der menschenverachtender nicht sein könnte?

Berliner, wehrt euch!

Wo sind die Berliner, die gegen diese Unkultur aufstehen, eigene Facebook-Gruppen bilden und protestieren?

Ja, es klingt verdächtig wie aus einer anderen Zeit, wenn ich appelliere: Wehret den Anfängen! Denn von verbaler Gewalt bis zur realen Gewalt ist es ein kurzer Weg.

Chris Dercon hat das Pech, dass er gerade eher zufällig an den Bruchlinien tiefgreifender, ungelöster Konflikte in Berlin steht. Die Stadt ist gleich mehrfach gespalten. Tiefe Gräben gibt es zwischen Ost und West, Stadt-Mitte und Peripherie, Alteingesessenen und Neuberlinern.

Ein Transparent mit der Aufschrift:  "Frieden den Hütten, Krieg den Palästen"
Wohnungsnot macht wütend: Auch auf jene, die höhere Mieten bezahlen könnenBild: picture alliance/Geisler-Fotopress/M. Golejewski

Am Prenzlauer Berg hat der Kampf mit den Neuzugezogenen sogar das Schlagwort vom "Schwabenhass" hochgespült. Der Hass gegen die wohlhabenden "Migranten" aus dem deutschen Südwesten, die Mietpreise hochgetrieben und das Wohnen am "Prenzelberg" unerschwinglich gemacht hätten. Wikipedia hat dem "Schwabenhass" sogar einen eigenen Artikel gewidmet. Was für ein Ruhmesblatt!

Und oben drauf kommt nun noch die empfundene "Überfremdung" durch die gutausgebildeten Zugezogenen aus aller Welt – zuletzt jene, die seit Trump und Brexit ihre Heimatländer Hals über Kopf verlassen haben. Berlin ist für sie die Stadt der Freiheit – mit all ihren Spielarten. Aber leider beinhaltet das auch die Freiheit zu hassen.

Ich versuche zu verstehen, warum das so ist. Also: Die "bisherigen" Berliner fühlen sich überfahren und fremdbestimmt von den "Neuen". Sie sehen sich bisheriger Gewissheiten und am Ende auch ihrer Identität beraubt. Alles ganz schön viel auf einmal, denken Sie? Eben, und so fühlen es viele hier auch. Angst (auch um den Job) und Frust richten sich dann rabiat gegen andere.

Virtuelle und reale Gewalt

Ein Schild Cafe-Bistro Filou, darunter eine Markise und Stühle mit Bistro-Tischen
Die Autonome Szene in Kreuzberg engagierte sich für die Bäckerei Filou - auch mit GewaltBild: DW/C.Neher

Längst wird die Grenze zur Gewalt immer wieder überschritten. Da ist der Fall der New Yorkerin Claire D'Orsay. Sie geriet in Kreuzberg mit ihrem neuen Restaurant zur Zielscheibe militanter linksradikaler Gentrifizierungsgegner. Die Außenwände wurden bespuckt, dann mit Parolen besprüht. Schließlich gingen elf Fensterscheiben zu Bruch. Claire hatte das Pech, direkt neben "Filou" zu eröffnen, der alteingesessenen Bäckerei, deren Mietvertrag gerade gekündigt wurde. Sie stand im Verdacht, damit zu tun zu haben. Und die "Szene" schlug zu.

Gewalt als Lifestyle?

Mich irritiert, dass viele in Berlin – inklusive der trägen Politik – das so einfach hinnehmen. So als wäre es Berliner Lifestyle. Selbst dann, wenn wie in der Rigaer Straße Hausbesetzer den Nachbarn ihre Fäkalien in die Türschlösser schmieren und bis tief in die Nacht mit dröhnender Musik deren Kleinkinder am Schlaf hindern. Und während ich das schreibe, lese ich eine Meldung aus dem Stadtteil Neukölln, der besonders bei Migranten aus dem arabischen Kulturraum beliebt ist: "Mann wegen Halskette mit Kreuz verprügelt".

Man sieht Gero Schließ
Regt sich über den Hass in Berlin auf: Unser Kolumnist Gero Schließ

Manchmal trifft es sogar die Berliner Polizisten selber. Schon bei Routinekontrollen. Dann werden sie von empörten Einwohnern mit "Das ist unsere Straße!"-Rufen abgedrängt. 

Wie viel Hass! Wie viel Selbstgerechtigkeit! Wie viel schlechte Energie!

Das ist nicht mein Berlin. Das ist nicht das Berlin, in dem ich leben will!