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Politik

Abschied von einem unrealistischen Ziel

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Jens Thurau
15. Januar 2018

Der Weltklimarat sagt, dass der Anstieg der Welttemperatur nicht mehr auf 1,5 Grad begrenzt werden kann. Was wie ein Offenbarungseid klingt, kann vielleicht sogar eine Chance für den Klimaschutz sein, meint Jens Thurau.

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Symbolbild Klimawandel
Bild: picture-alliance/dpa

Noch ist es nur eine Zeitungsmeldung, der eigentliche Bericht des Weltklimarats kommt erst im Herbst. Aber glaubt man der Meldung, dann steht im Entwurf des Stellungnahme der weltweit führenden Klimaforscher nichts anderes als ein Offenbarungseid der internationalen Klimaschutzpolitik: Vergesst das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, lautet die Botschaft. "Mit 66 Prozent der Wahrscheinlichkeit außerhalb des Erreichbaren", so wird der Rat zitiert. Diese Verliebtheit in mathematische Genauigkeit hat den Weltklimarat schon immer ausgezeichnet, oft hat das dazu geführt, dass seine Stellungnahmen wenig verständlich waren. Aber diesmal sind die Sätze doch recht klar: Der bisherige Ausstoß von Klimagasen und vor allem die aktuelle Politik der Staaten sowie ihre Investitionen im Energiesektor machen die direkte Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze praktisch unmöglich.

In Paris mit viel Jubel verabschiedet

Noch vor rund zwei Jahren in Paris, auf der viel umjubelten UN-Klimakonferenz, spielte dieses Ziel eine zentrale Rolle. Als eine Art Kampfbegriff vor allem der kleinen Inselstaaten und vieler Länder Afrikas und Asiens, die mit dieser Forderung die reichen Staaten zu einem ehrgeizigeren Klimaschutz bringen wollten. Und am Ende damit Erfolg hatten. Bis dahin hatte die weltweite Klimapolitik das Ziel ausgegeben, die Welttemperatur nicht um mehr als zwei Grad steigen zu lassen - immer gemessen an der Temperatur zu Beginn der Industrialisierung gut 150 Jahren. Seitdem hat die massive Verfeuerung fossiler Brennstoffe durch den Menschen die Welttemperatur aber schon um ein Grad klettern lassen. Jetzt nicht mehr als 1,5 Grad anzupeilen, käme einer Vollbremsung der Weltwirtschaft gleich. Und ist allein auch deswegen ein völlig unrealistisches Ziel.

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Jens Thurau ist Klima-Experte der DW

Oft fehlt schlicht der politische Wille

Das Ende der Klimaschutzpolitik muss das aber nicht sein. Überall auf der Welt werden Wind- und Sonnenstromanlagen gebaut, wird in nachhaltiges Wirtschaften investiert. Technologisch könnte die Menschheit wahrscheinlich längst weitgehend auf fossile Energieträger verzichten, aber praktisch eben nicht. Aufstrebende Schwellenländer und ökonomische Giganten wie China haben derartige Wachstumsraten, dass ihr Energiehunger quasi  unstillbar ist. Sie nutzen die neue, die nachhaltige Energie gerne, aber sie setzen eben auch noch auf die Kohle. Und in den alten Industriestaaten, auch in Deutschland, fehlt der letzte politische Wille, den zügigen Umbau auch wirklich anzugehen. Auto- und Energiekonzerne bilden eine mächtige Lobby, die lieber alles so lassen möchte, wie es ist. Und  in Washington sitzt seit einem Jahr ein Leugner des Klimawandels im Oval Office. Aber irgendwann wird der Druck der neuen Technologien auch solche Bremser von der Bühne verdrängen. 

Fatal ist nur, dass das 1,5 Grad-Ziel, das die Experten nun für unrealistisch halten, ein wesentliches Detail des Pariser Klimavertrages ist, der ja erst 2020 richtig in Kraft treten soll. Und die griffige Zahl war bisher jedenfalls die Hauptmotivation für viele arme Staaten, auch weiter auf den Vertrag zu setzen - auch ohne die ignorante amerikanische Regierung.

Ehrlichkeit kann eine Chance sein

Aber vielleicht liegt in der Ehrlichkeit, die der Weltklimarat nun formuliert, ja auch eine Chance. Viele Alternativen haben vor allem die armen Staaten nicht, als die internationalen Verhandlungen unter dem Dach der Vereinten Nationen weiter am Laufen zu halten. Und sich von unrealistischen Zielvorgaben zu trennen, die nur Frust erzeugen, kann womöglich sogar Energie freisetzen. Denn die klare Sprache des Weltklimarates macht ja auch noch einmal klar, worum es geht: Denn der Unterschied zwischen 1,5 und zwei Grad bedeutet mehr Stürme, einen um zehn Zentimeter höheren Meeresspiegel und wahrscheinlich auch den den Eisverlust in Grönland und in der West-Antarktis. Und nicht zuletzt geht es damit um die Existenz vieler kleiner Inselstaaten. Sage keiner mehr, er habe es nicht gehört.

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