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Politik

Afghanische Pseudodemokratie

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Florian Weigand
8. Dezember 2018

Sieben Wochen nach der Parlamentswahl in Afghanistan wurde eine Million Wählerstimmen für ungültig erklärt. Der Demokratiewille der Afghanen ist ungebrochen, doch die Institutionen versagen, meint Florian Weigand.

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Afghanistan Parlamentswahlen Kabul
Bild: DW/Q. Adeli

Sechs Wochen nach der Parlamentswahl in Afghanistan - eineinhalb Monate zwischen Bangen und Hoffen - ist nun doch der denkbar schlimmste Fall tatsächlich eingetreten. Ausgerechnet in der Hauptstadt Kabul und der gleichnamigen bevölkerungsreichsten Provinz um die Metropole herum sind alle Stimmen in der Parlamentswahl für ungültig erklärt worden. Ein Desaster ohnegleichen: Niemand kann das Versagen auf untrainierte und mangelhaft eingewiesene Wahlhelfer in einer improvisierten Wahlstation in einer entlegenen Ecke des Hindukusch abschieben, deren Handvoll an abgegebenen Stimmen das Ergebnis ohnehin nicht beeinflusst hätte  – keiner kann ein Auge zudrücken und auf Erfolge in besser organisierten Ballungszentren verweisen.

Gewilltes Wahlvolk

Ein krachendes Scheitern der Demokratie? Bei genaueren Hinsehen fällt die Antwort doch nicht eindeutig aus: Von den rund neun Millionen registrierten Wahlberechtigten wohnen 1,6 Millionen in Kabul, rund eine Million davon sind tatsächlich zur Wahl gegangen. Das sind 62 Prozent der Wähler in der Hauptstadt und rund ein Viertel aller Wähler in Afghanistan. Landesweit waren zwar nur knapp über 40 Prozent der registrierten Wahlberechtigten zu den Urnen geeilt, was von einigen Beobachtern voreilig schon als Ende des Demokratieprozesses in Afghanistan gewertet wurde – doch Hand aufs Herz: Wie viele Menschen würden im demokratieverwöhnten Europa zur Wahl gehen, wenn sie damit Leib und Leben in Gefahr brächten? In Afghanistan reihten sich Millionen von Menschen in die Schlangen vor den Wahllokalen - den dutzenden Anschlägen und Angriffen der Taliban am Wahltag zum Trotz. 

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Florian Weigand, Leiter DW Dari/Paschtu

Der Befund muss daher lauten: Die Demokratie ist bei den Afghanen angekommen. Unter den 2.500 Kandidaten bewarben sich über 400 Frauen um die 249 Parlamentssitze, viele junge Leute haben sich für die Wahl aufstellen lassen. Dass darunter auch einige Söhne von Warlords die sinisteren Familientraditionen im Machzentrum fortsetzen wollen und dabei von ihren berüchtigten Vätern ferngesteuert werden, kann in einem Land wie Afghanistan nicht wirklich überraschen.

Weil aber offenkundig die Mehrheit der Wähler nicht bereit war, eben diese Machtspiele zu unterstützen, musste wohl nachgeholfen werden. In Kabul wurden die Stimmen auch deswegen für ungültig erklärt, weil es zu saftigem Wahlbetrug gekommen war. Das ist aber nicht die Schuld der Wähler – im Gegenteil, die Stimmabgabe einer willfährigen Wählerschaft, die den lokalen politischen Strippenziehern ergeben folgt, muss nicht mit Betrug in die gewünschte Richtung gebürstet werden. Ein weiterer Beleg dafür, dass Demokratie bei den Wählern angekommen ist.

Unwillige Institutionen

Aber eben nicht bei den Institutionen -  ihr Scheitern bei der Umsetzung des Demokratiewillens der Millionen Frauen und Männer in Stadt und Land ist beispiellos. Schon im Vorfeld gab es immense Probleme bei der Registrierung. Es ist wahrscheinlich, dass sich weit mehr Menschen hätten registrieren lassen als es tatsächlich der Fall war - oft nur wegen technischer Probleme. Viele weitere konnten sich nicht registrieren lassen, weil sie in Gebieten leben, die unter Kontrolle der Taliban stehen. Am Wahltag selbst blieb eine große Anzahl von Wahllokalen geschlossen, oft genug, weil die Wahlhelfer Angst vor Anschlägen hatten - trotz eines Großaufgebots von 50.000 Sicherheitskräften. Das Vertrauen in Polizei und Militär tendiert gegen Null. In der Provinz Ghazni konnte überhaupt nicht gewählt werden, zum Teil wegen der Sicherheitslage, aber auch weil man sich nicht darauf verständigen konnte, wie die Wahlbezirke so zugeschnitten werden sollten, dass der Flickenteppich der verschiedenen Ethnien gerecht aufgeteilt ist.

Im Nachgang der Wahl tauchten täglich neue Probleme auf, vor allem bei der Auszählung. Noch ist unklar, ob Kabul ein eklatanter, aber doch ein Einzelfall bleibt. Noch sind ganze 13 Provinzen nicht ausgezählt. Der Vertrauensverlust bei den Wählern lässt sich aber wohl nicht mehr so leicht beheben: Wie muss man sich fühlen, wenn die eigene Courage durch inkompetente Organisation und aktiven Wahlbetrug dermaßen entwertet wird? Man muss dem deutschen Afghanistan-Experten Thomas Ruttig uneingeschränkt Recht geben, wenn er sagt: "Es ist nicht so, dass die Afghanen die Demokratie satt haben. Sie haben diese Art von Pseudo-Demokratie satt".