Afrika zwischen Tiger und Drache
Am Ende war das Timing dann doch noch gut für die Inder: Der gigantische Afrika-Gipfel, die größte Zusammenkunft afrikanischer Staatenlenker außerhalb des eigenen Kontinents, war ja wegen der Ebola-Epidemie zunächst verschoben worden. Nun konnte er also doch noch im Oktober stattfinden. Warum das wichtig ist für die Inder? Anfang Dezember richtet Südafrika den China-Afrika-Gipfel aus, und die indischen Gastgeber wären arg traurig gewesen wenn ihnen die Nachbarn einmal mehr den Rang abgelaufen hätten im "New Scramble for Africa", der Neuauflage des kolonialen Wettrennens um den an Ressourcen und Konsumenten reichen Kontinent. Immerhin ist Chinas Handelsvolumen mit Afrika dreimal so groß wie das indische mit 70 Milliarden US-Dollar.
Das üppige Rahmenprogramm und die Beschwörung gemeinsamer Wurzeln konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass der indische Tiger ebenso pragmatisch denkt wie der chinesische Drache, wenn es um die Beziehung zum afrikanischen Löwen geht: Indien braucht Unterstützung für die angestrebte Reform der Vereinten Nationen (das Land von Mahatma Gandhi möchte endlich einen permanenten Sitz im Weltsicherheitsrat), bei den Klimazielen in Paris, bei der Eindämmung des globalen Terrors und der Sicherheitskooperation im Seeverkehr - Stichwort Piraterie. Weil Indien die Afrikaner zudem bei den WTO-Verhandlungen (die nächste Runde steht ganz zufällig im Dezember in Nairobi an) als strategischen Partner im Boot haben möchte, vergleichen böse Zungen die in Delhi zugesagten Milliarden an Vorzugskrediten und Entwicklungshilfe mit dem Stimmenkauf im System FIFA.
Keine gemeinsame Positionen
Wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte, heißt es. Diese Rolle könnte Afrika spielen - wenn es sich denn auf eine gemeinsame Position in wichtigen Fragen von Handel, Sicherheitskooperation, Klimaschutz und Süd-Süd-Kooperation verständigen würde.
Indische Kommentatoren hatten sich vor dem Gipfel öffentlich gewundert, wie wenig enthusiastisch - und wie schlecht vorbereitet - die afrikanische Seite vor diesem historischen Gipfel sei. Das freilich überrascht langjährige Beobachter nicht: Zwar exportiert der Wirtschaftsriese Südafrika Mengen an Kohle nach Indien. Doch schöpft das Land mit seinen 1,3 Millionen Bewohnern indischer Abstammung nicht annähernd das mögliche Potenzial an Handel und Wissenstransfer aus. Das gilt auch für die mit großen Hoffnungen gestartete BRICS, dem Zusammenschluss von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.
Brasilianische Delegierte beklagen, dass sie bis heute keine Telefonnummer oder einen Ansprechpartner in Südafrika haben, um die Süd-Süd-Kooperation mit Leben zu füllen.
Weiterhin vor allem Rohstoff-Exporteur
Dass Afrika nach wie vor in erster Linie Rohstoffe exportiert, anderswo seine Diamanten schleifen, Erze verarbeiten, Rohöl raffinieren lässt und als zumeist minderwertige Konsumgüter wieder einführt - daran tragen nicht Delhi und Peking, sondern Nigeria und Südafrika Schuld. Das Land am Kap produziert zwar 90 Prozent des weltweiten Platins, aber nur einen geringen Teil der daraus gefertigten Katalysatoren. Das ist nur eines von vielen Beispielen.
Es ist interessant, dass ausgerechnet indische Kommentatoren Afrika in diesen Tagen ermutigen, eine gemeinsame und sehr viel aktivere Position zum Thema Sicherheitspolitik auf dem Kontinent zu entwickeln. Wie könne es beispielsweise sein, dass die USA und Indien eine Trainingsmaßnahme für indische Blauhelme in Afrika beschlössen ohne Zutun der Afrikanischen Union? Eine andere Frage zielt darauf ab, warum Afrika in nicht viel höherem Maße die von Indien angebotene Zusammenarbeit im öffentlichen Gesundheitssektor ("Health Diplomacy") in Anspruch nehme.
Kein Partner auf Augenhöhe
Nein, Afrika war nur als Gast, nicht als Partner auf Augenhöhe bei diesem Mega-Event. Mit einem wenig verkleideten Seitenhieb auf das chinesische Wachstumsmodell verkündete Indiens Premier zwar, man wolle in Afrika so investieren, dass "der Schnee auf dem Kilimanjaro nicht verschwindet". Doch nach vier Tagen Gipfel mit 1000 Delegierten steht die Einsicht der Afrikaner, dass der indische Tiger sich allenfalls im Auftritt verbindlicher gibt als der Drache aus Peking. Wenn es noch eine Bestätigung brauchte, war dies die Einladung an Sudans Kriegsverbrecher Omar al-Bashir, der vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht wird. Die staatliche indische Ölgesellschaft ONGC besitzt Felder im Sudan und hat Afrika als Wachstumsmarkt auserkoren. Ein Schelm wer Böses dabei denkt.
Wie wenig die in Delhi beschworene gemeinsame Kolonialgeschichte wert ist, erfuhren die Afrikaner 2014, als der ursprünglich für den Dezember desselben Jahres geplante Gipfel wegen einer geradezu hysterischen Angst der Inder vor einem Ebola-Import verschoben wurde. Angeblich mit Zustimmung der Gäste. Die aber waren in Wahrheit ziemlich vor den Kopf gestoßen. Und so ist die Charme-Offensive Modis aus Sicht der Afrikaner wenig mehr als eine weitere Etappe im Elefantenrennen zwischen Drache und Tiger. Der Löwe schaut derweil zu.
Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!