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Am Tag nach dem Corona-Crash

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Henrik Böhme
10. März 2020

Endlich mal wieder ein Schwarzer Montag! Wir hatten schon fast vergessen, dass es an den Börsen auch mal richtig abwärts gehen kann. Es zeigt, was uns das Virus alles noch einbrocken könnte, meint Henrik Böhme.

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Hat schon vieles erlebt, aber sowas noch nicht: Der Börsenhändler Peter Tuchman an der Wall Street
Bild: picture-alliance/AP Photo/R. Drew

Sie kennen das: Draußen scheint die Sonne, die ist Luft heiß und stickig - und plötzlich ziehen dunkle Gewitterwolken auf. Dann entlädt sich ein gewaltiges Unwetter - und hinterher ist die Luft, zumindest für eine gewisse Zeit, wunderbar klar. Das ist es, in zwei Sätzen zusammengefasst, was in den letzten 24 Stunden an den Finanzmärkten von Schanghai über Frankfurt nach New York geschehen ist. Schon viel zu lange hatten sich die Kurse von der realen Wirtschaft abgekoppelt. Hatten beispielsweise ausgeblendet, dass sich die deutsche Industrie seit Monaten schon in einer Rezession befindet und die deutsche Volkswirtschaft insgesamt auf der Stelle tritt. Hatten ausgeblendet die Verwerfungen durch den Handelskrieg zwischen Amerikanern und Chinesen, hatten den Brexit irgendwie eingepreist.

Da brauchte es schon ein kleines, noch weitgehend unerforschtes Virus, um das Kartenhaus mal so richtig durchzulüften. Was für ein Crash! Rekordverluste, wohin man schaute: nach Punkten (was immer ziemlich fett aussieht) und nach Prozenten (was immer aussagekräftiger ist). Am Tag danach sieht die Welt - zumindest auf den großen Tafeln in den Handelsräumen - schon wieder ein wenig besser aus. Wer aber nun glaubt, dass sei's gewesen, liegt falsch. Die Coronakrise hat das Zeug, die Weltwirtschaft erneut in eine heftige Rezession zu stürzen.

Erinnerungen an die Lehman-Pleite

Erinnerungen werden wach an die Weltfinanzkrise der Jahre 2008/2009. Auch hier hatte sich ein Virus in die Systeme gefressen, freilich eines der ganz anderen Art: Es war die Gier nach scheinbar unendlichen Gewinnen, nach einem nimmer endenden Aufschwung. Das Ergebnis ist bekannt: Eine Beinahe-Kernschmelze konnte nur durch einen unfassbar hohen finanziellen Einsatz verhindert werden: Hunderte Milliarden Dollar, Euro, Yuan, Yen an Konjunkturhilfen wurden weltweit in die Volkswirtschaften gepumpt. Geld, dass die Staaten eigentlich nicht hatten. Die Folgen sind bis heute zu spüren - zum Beispiel in Form niedriger Zinsen mit all ihren negativen Folgen für Banken und Sparer. 

Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion
Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion

Apropos Banken, weil es gerade passt: An diesem Dienstag wird die Deutsche Bank 150 Jahre alt. Am Tag vor dem Jubiläum fiel die Aktie, die sich in den ersten zwei Monaten des Jahres mühsam nach oben gearbeitet hatte, um satte 17 Prozent in den Keller auf ein neues Allzeittief. Ein vergiftetes Geschenk. Aber Banken werden in so einer Lage am heftigsten abgestraft, weil damit zu rechnen ist, dass nun eine Menge Unternehmen ihre Kredite nicht werden zurückzahlen können. Dass die Bank nun wegen des Virus (wirklich nur wegen des Virus?) ihre große Geburtstagsparty in Berlin am übernächsten Wochenende abgesagt hat, ist dann bloß noch eine Randnotiz. 

Zurück zu SARS-CoV-2 oder COVID-19 oder einfach nur: das neuartige Coronavirus. Schon wieder werden nun also Konjunkturpakete vorbereitet, um Unternehmen zu helfen, die schon jetzt schwer vom Virus getroffen sind - Hotelbetreiber, Gastronomen, Messebetreiber, Messestandbauer. Und das ist leider erst der Anfang. Gelingt es nicht, die Ausbreitung des Virus einzudämmen, wird auch Deutschland nicht um so drastische Maßnahmen wie Italien herumkommen. Wie kommen die Leute dann zur Arbeit? Kann die Produktion in den Fabriken dann weiterlaufen? Sterben schließlich mehr Menschen an den wirtschaftliche Folgeschäden, weil so eine Rezession am Ende auch auf das Gesundheitswesen durchschlägt?

Es wird noch schlimmer

Natürlich ist es wichtig, dass der Staat den Unternehmen in dieser Situation signalisiert: Wir stehen euch bei. Es überrascht, dass dies nicht nur der Wirtschaftsminister so sagt, sondern auch der normalerweise zugeknöpfte Finanzminister dieses Landes. Aber auch der kann die Augen nicht davor verschließen, vor dem, was da noch alles kommen könnte. Nicht nur die kleinen und mittleren Unternehmen werden auf der Matte stehen und nach Hilfe verlangen, auch große wie zum Beispiel die Lufthansa, die ihren Flugbetrieb - wie zahlreiche andere Airlines auch - halbiert hat. Und in den Maschinen, die fliegen, hat man derzeit als Passagier ungewöhnlich viel Platz. Wer will schon irgendwohin fliegen, um dann unter Quarantäne gestellt zu werden?

Stunde der G20?

Wahrscheinlich Ende März wird die deutsche Wirtschaft die vollen Auswirkungen unterbrochener Lieferketten spüren. Denn dann kommen die Container aus China nicht an, die dort vor sechs Wochen wegen des Corona-Ausbruchs gar nicht mehr auf die Reise geschickt werden konnten. Gleichzeitig drängen einige Virologen, aber auch der Gesundheitsminister, zu deutlich heftigeren Maßnahmen zur Eindämmung des Virus.

Wenn das beides zusammenkommt, dann war der Crash vom Montag nur ein laues Lüftchen vor einem wirklichen Sturm. Dafür muss sich Deutschland wappnen, aber der Rest der Welt auch. Es wäre eine neue Chance für die mittlerweile zerstrittene G20-Gruppe, die damals beim Ausbruch der Weltfinanzkrise auf geradezu vorbildhafte Weise zusammengearbeitet haben, um das Schlimmste zu verhindern. Den Vorsitz hat derzeit Saudi-Arabien. Wer ruft in Riad an?   

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Henrik Böhme Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Auto- und Finanzbranche@Henrik58