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An den Grenzen der Diplomatie

Bernd Johann18. Februar 2015

Vielleicht ist das Abkommen von Minsk noch nicht ganz gescheitert. Aber der Fall Debalzewes zeigt: Mit diplomatischen Gesprächen allein lässt sich kein Frieden in der Ostukraine herstellen, meint Bernd Johann.

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Ukraine ukrainische Soldaten verlassen Debalzewe
Ukraine ukrainische Soldaten verlassen DebalzeweBild: Reuters/G. Garanich

Wenn eine strategisch wichtige Stadt erobert wird, dann kann keine Rede von Waffenruhe sein. Wenn die Angreifer dabei massiv mit Panzern und Raketenwerfern vorgehen, dann kann auch keine Rede von einem Rückzug schwerer Waffen sein. Noch nicht einmal eine Woche ist das Minsker Abkommen alt, das als eine Art Fahrplan zum Frieden in der Ostukraine dienen sollte. Doch auf dem Schlachtfeld Debalzewe nördlich von Donezk wurde dieser Prozess jetzt womöglich schon im Ansatz zerschossen und zerbombt.

Viel Hoffnung auf Deeskalation in der Ostukraine gab es schon in Minsk nicht. In Debalzewe haben die Separatisten bereits die ersten beiden Ziele des 13 Punkte umfassenden Abkommens - Waffenruhe und Waffenabzug - komplett ignoriert. Sie haben die Waffenruhe massiv gebrochen, um militärische Fakten zu schaffen. Und sie ließen so die diplomatischen Bemühungen ins Leere laufen.

Und das geschah ganz offensichtlich mit Billigung aus Russland. Das machte der russische Präsident Wladimir Putin am Dienstag bei seinem Presseauftritt in Ungarn, einem EU-Mitglied und Nachbarland der Ukraine übrigens, auf geradezu provozierende Weise deutlich: Wider besseren Wissens erklärte er die politische Führung in Kiew für allein verantwortlich für das Blutbad in Debalzewe. Sogar die Kapitulation der ukrainischen Armee verlangte Putin. Deutlicher kann seine Parteinahme für die Eroberungspläne der Separatisten nicht formuliert werden.

Demütigung für Poroschenko

Für den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko ist der Fall Debalzewes nicht nur eine militärische, sondern auch eine politische Katastrophe. Im eigenen Land hagelt es Kritik am Minsker Abkommen, das in zähen Verhandlungen zwischen der Ukraine und den prorussischen Separatisten sowie unter Beteiligung von Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine ausgehandelt worden war. Das Papier enthält viele Kompromisse, die für Kiew schmerzhaft sind. Denn faktisch wird damit ein "eingefrorener Konflikt" und ein separatistisches Staatsgebilde unter russischem Einfluss auf ukrainischem Boden geschaffen.

Schon in Minsk war klar, weder die Separatisten noch Russland würden dabei akzeptieren, dass Debalzewe ukrainisch bleibt. Denn durch die Stadt verläuft die Hauptverbindung - auf der Straße und der Schiene - zwischen Donezk und Luhansk. Durch sie werden die beiden "Volksrepubliken" verkehrstechnisch erst richtig verknüpft. Und: Die Eisenbahntrasse führt von dort aus weiter nach Russland. Militärischer Nachschub für die Separatisten kann jetzt noch leichter herangeführt werden.

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Bernd Johann leitet die Ukrainische Redaktion der DWBild: DW/P. Henriksen

Die seit Wochen in Debalzewe umzingelte ukrainische Armee hatte gegen die Übermacht der mit modernen russischen Waffen ausgestatteten Gegner keine Chance. Doch Poroschenko wollte nicht nachgeben, drängte zum Durchhalten. Jetzt aber müssen sich die ukrainischen Soldaten geschlagen aus Debalzewe zurückziehen. Die Niederlage ist deshalb auch eine Demütigung für Poroschenko, der innenpolitisch dadurch weiter unter Druck geraten wird.

Diplomatie allein kann einen Aggressor nicht stoppen

Wohl den meisten Ukrainern ist klar, dass sie militärisch allein auf sich gestellt den Krieg nicht gewinnen können. Deshalb müssen die diplomatischen Bemühungen weitergehen. Sollten die prorussischen Kämpfer nach dem Fall Debalzewes ihren Vormarsch stoppen, dann besteht vielleicht noch immer eine Chance, das Minsker Abkommen zu retten. Aber es droht auch weitere Gefahr: Von Debalzewe aus ist es nicht mehr weit bis zur Großstadt Charkiw im Norden. Und auch Mariupol im Süden liegt nach wie vor im Fadenkreuz der Separatisten. Der Krieg kann also noch ganz erheblich eskalieren.

Vielleicht begnügen sich die Separatisten mit den Gebieten Luhansk und Donezk. Doch die Ereignisse in Debalzewe zeigen: Mit Diplomatie allein - selbst auf aller höchster Ebene - lässt sich ein landraubender Aggressor nicht stoppen. Sollten die prorussischen Kämpfer in Kürze tatsächlich Richtung Charkiw oder Mariupol vorrücken, dann muss die Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine auf die Agenda. Vor allem aber müssen dann weitere Sanktionen gegen die Unterstützer der Separatisten in Russland vorbereitet werden. Denn Europas Diplomatie ist jetzt an ihren Grenzen angelangt.