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Politik

Auch auf dem rechten Auge wachsam

18. Dezember 2019

Rechtsextremisten säen vermehrt Hass - auf der Straße und im Internet. Ihre Zahl nimmt zu und mehrere Morde erschüttern das Land. Daraus ziehen endlich auch die Sicherheitsbehörden ihre Lehren, meint Marcel Fürstenau.

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Demonstration von Rechtsextremisten  in Karlsruhe-Durlach
Bild: picture-alliance/dpa/U. Deck

Die Liste des Schreckens wird länger und länger: In Hessen hat ein mutmaßlicher Neonazi den Kommunalpolitiker Walter Lübcke erschossen, in Sachsen-Anhalt starben zwei Menschen nach dem misslungenen Angriff auf die vollbesetzte Synagoge der Stadt Halle. Täglich werden irgendwo in Deutschland Menschen wegen ihrer Hautfarbe, Religion oder sexuellen Orientierung beleidigt und tätlich angegriffen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz - der deutsche Inlandsgeheimdienst - hält inzwischen 12.700 Rechtsextremisten für gewaltorientiert. Zum Vergleich: 2011, als die mordend durchs Land ziehende Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) aufflog, waren es erst 9.800.

Apropos NSU: "Staatliches Totalversagen" lautete das verheerende Fazit eines Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages. Im Mittelpunkt der Kritik standen zurecht Polizei und Verfassungsschutz, die trotz eindeutiger Anhaltspunkte lange keine rassistischen Motive hinter der Mordserie und den Bombenanschlägen erkennen wollten. Behördenchefs und Politiker gelobten Besserung. Doch Personalwechsel an der Spitze und organisatorische Veränderungen blieben offenkundig weitgehend wirkungslos.

Fatale Fixierung auf islamistischen Terror

Woran und an wem das lag, darüber gehen die Ansichten auseinander. Eine Erklärung ist sicherlich die lange Fixierung auf den islamistischen Terror. Nach dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 durften sich die Sicherheitsbehörden in ihrer Einschätzung auf geradezu makabere Weise bestätigt fühlen. Trotzdem müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen, den Blick nach ganz rechts vernachlässigt zu haben.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Hauptstadtkorrespondent Marcel FürstenauBild: DW

Kritiker sahen beim Verfassungsschutz einen Zusammenhang mit dem 2018 abgelösten Präsidenten Hans-Georg Maaßen. Manche sagten ihm Sympathien für die immer stärker ins rechte und nazistische Milieu abdriftende "Alternative für Deutschland" (AfD) nach. Jener erst 2013 gegründeten Partei also, die von Maaßens Nachfolger Thomas Haldenwang Anfang 2019 teilweise zum "Verdachtsfall" - eine Vorstufe zur geheimdienstlichen Überwachung - erklärt wurde.

Überfälliger Abschied von der Einzeltäter-Theorie

Spätestens seit dieser nachvollziehbaren Entscheidung besteht kein Grund mehr, an der Entschlossenheit des Verfassungsschutzes im Kampf gegen den Rechtsextremismus zu zweifeln. Denn damit ist klar, dass der Inlandsgeheimdienst einige Wortführer und Strömungen der AfD für geistige Brandstifter hält. Endlich vorbei sind die Zeiten, in denen die Gefahr von rechts durch den Verweis auf angebliche Einzeltäter verharmlost wurde. "Für mich sind es inzwischen zu viele Einzelfälle", sagt Verfassungsschutz-Präsident Haldenwang inzwischen in dankenswerter und überfälliger Deutlichkeit.

Klartext reden ist jedoch das eine, entsprechend handeln das andere. Aber auch in dieser Hinsicht gebührt ihm Lob. Seit dem Sommer kümmern sich neu formierte Teams in seiner Behörde um den Rechtsextremismus. Mit 300 zusätzlichen Stellen soll künftig unter anderem die wissenschaftliche Expertise gestärkt werden.

Erfreulich selbstkritische Töne bei Polizei und Verfassungsschutz

Ebenfalls Vergangenheit ist anscheinend falsch verstandene Rücksichtnahme auf Rechtsextremisten in den eigenen Reihen. Das gilt auch für das Bundeskriminalamt, dessen Präsident Holger Münch den gleichen Kurs fährt wie sein Kollege vom Verfassungsschutz. Schon bald soll ein "Lagebild Rechtsextremismus" für den gesamten Öffentlichen Dienst in Deutschland erstellt werden, in dem immerhin rund 4,7 Millionen Menschen arbeiten. Dazu gehört auch die Bundeswehr, die mit dem mutmaßlich rechtsextremistischen Netzwerk des Soldaten Franco A. 2017 für schauderhafte Schlagzeilen gesorgt hat.

Dass aber aus deutschen Sicherheitsbehörden zunehmend selbstkritische Töne zu hören sind, ist ein gutes Zeichen. Wenn Polizei und Verfassungsschutz vor der eigenen Haustüre kehren, wirkt ihr Engagement gegen alle Feinde der Demokratie viel glaubwürdiger. Daran hat es lange stark gemangelt. Rechtsextremisten durften sich mitunter sogar ermutigt fühlen, weil sie wenig, schlimmstenfalls gar keinen Verfolgungsdruck spürten.

Bei Rechtsextremisten schaut niemand mehr weg

Bundesinnenminister Horst Seehofer, zuständig für Polizei und Verfassungsschutz, bringt es auf den Punkt: "Man hätte es früher ernst nehmen müssen!" Damit meint er die im Jahr 2000 beginnende "Blutspur" der Terrorgruppe NSU, die mit dem Angriff auf die Synagoge in Halle 2019 leider kaum beendet sein wird. Aber da, wo der Innenminister politisch verantwortlich ist, schaut jetzt niemand mehr weg. Die Seehofer unterstellten Behörden sind auf dem rechten Auge endlich wachsam.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland