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Das Glyphosat-Dilemma

28. November 2017

Ist das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat völlig ungefährlich, oder zerstört es die Natur? Eine neutrale Instanz muss die Zweifel an der Unabhängigkeit der vorliegenden Studien endlich ausräumen, meint Fabian Schmidt.

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Pflanzenschutzmittel Glyphosat
Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Das größte Opfer des Glyphosat-Dilemmas ist das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unabhängigkeit der Forschung. Der Vorwurf, dass Behörden wie das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) oder die Europäische Lebensmittelagentur (EFSA) geschönte Studien der Industrie im Wortlaut übernommen haben oder kritische Studien aussortiert haben, wiegt schwer.

BfR-Präsident Andreas Hensel wehrt sich und erklärte den Vorwurf der Glyphosat-Gegner jüngst als "erfunden und haltlos". Aus wissenschaftlicher Sicht sei "glasklar: Glyphosat ist nicht krebserregend." Das BfR dürfe einen Stoff "der in Wirklichkeit unbedenklich ist" nicht  für problematisch erklären "weil das bestimmten Kreisen in den Kram passt".

Wer führt uns an der Nase herum?

Was sollen wir, die Öffentlichkeit, jetzt glauben? Was soll die Politik in einer solchen Situation tun? Sitzen wir einer geschickten, gut finanzierten und interessengesteuerten Kampagne der Industrie auf, die durch Lobbying und manipulierte Forschung Einfluss auf Behörden genommen hat und uns die Wahrheit verschweigt?

Oder fallen wir, wenn wir Glyphosat ablehnen, vielleicht auf das nicht minder interessengesteuerte Lobbying von Umweltschutzorganisationen hinein, die selbst Forschungsergebnisse gerne so drehen, wie sie es haben möchten?

Viele Umweltschützer haben nämlich, neben der unterstellten Giftigkeit von Glyphosat, noch ein weiteres Motiv, dieses Herbizid vom Markt zu verbannen: den ideologischen Kampf gegen die grüne Gentechnik. Glyphosat eignet sich nämlich besonders gut zur Aufzucht bestimmter gentechnisch veränderter Sorten.

Sind andere Chemikalien überhaupt besser?

Zwischen diesen beiden widerstreitenden Wahrheiten scheint eine Übereinkunft unmöglich. Der Laie aber bleibt verunsichert zurück.

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DW-Redakteur Fabian Schmidt will der Glyphosat-Forschung eine zweite Chance geben.

Dabei ist keineswegs gesagt, dass es eine gute Lösung gewesen wäre, Glyphosat einfach vom Markt zu nehmen. Wer weiß schon, ob andere Unkrautvernichtungsmittel, zu denen die Landwirte dann greifen würden, überhaupt sicherer sind? Die Vorstellung, dass alle Bauern in der EU über Nacht plötzlich zu Öko-Landwirten werden und auf Herbizide verzichten, ist jedenfalls reine Utopie.

Also brauchen wir endlich Klarheit: Ist Glyphosat nun schädlich oder harmlos? Die Wissenschaft sollte das eindeutig und unzweifelhaft feststellen können. Denn sie hat den Anspruch empirisch und objektiv zu sein. Studien müssen "replizierbar" sein - werden sie unter gleichen Bedingungen wiederholt, muss immer das gleiche Ergebnis dabei herauskommen. Das kann ja wohl nicht so schwer sein.

Fünf weitere Jahre Zulassung - eine Chance für die Forschung 

Die Zulassung von Glyphosat gilt jetzt erstmal für weitere fünf Jahre. Diese Zeitspanne sollte reichen, um Licht ins Dunkel zu bringen: Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sollten jetzt schleunigst eine wahrhaftig neutrale Instanz ins Leben rufen. Das Gremium muss mit unabhängigen Wissenschaftlern besetzt sein: Toxikologen, Medizinern, Biologen und anderen Fachleuten.

Glyphosat-Gegner, Befürworter, Politik und Behörden sollten vorher Einvernehmen über die Besetzung dieses Gremiums herstellen, und sie müssen ihre eigenen Lobbyisten dabei tunlichst heraushalten, wenn sie es ernst meinen.

Das Gremium muss dann zwei Dinge leisten: einerseits dem Vorwurf der Studien-Manipulation nachgehen. Gab es tatsächlich eine unethische Einflussnahme der Industrie? Wurden wichtige Forschungsergebnisse unterschlagen? Und wenn ja - war dieses Vorgehen geeignet, um die Gesamtbewertung zur Gefährlichkeit der Chemikalie zu verfälschen?

Andererseits sollte das Gremium weitere Forschungsarbeiten bei zweifelsfrei unabhängigen Instituten in Auftrag geben, die nachweislich keiner der interessengeleiteten Seiten nahe stehen. Dafür müssen die Staaten dann aber auch Gelder bereitstellen.

Das wäre ein sauberer, ethisch guter Weg, um endlich Klarheit im leidigen Glyphosat-Streit zu bekommen. Und er könnte das Vertrauen in die Wissenschaft wiederherstellen.

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Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen