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Politik

Demokratie in der Ethnofalle

8. Oktober 2018

Die Beteiligung an den Wahlen in Bosnien-Herzegowina war besser als erwartet. Doch die Probleme bleiben. Eine Lösung für den ethnisch fragmentierten Balkanstaat kann nur von außen kommen, meint Rüdiger Rossig.

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Auszählung der Stimmen in Bosnien-Herzegowina (Foto: picture-alliance/dpa/A. Emric)
Bild: picture-alliance/dpa/A. Emric

Zuerst die gute Nachricht: Knapp 54 Prozent der 3,4 Millionen wahlberechtigten Bosnierinnen und Bosnier waren am Sonntag bis 19 Uhr in einem der 6.000 Wahllokale oder in den Botschaften ihres Landes und haben ihr Stimme abgegeben. Die Beteiligung an den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2018 lag damit nur Zehntel unter der vor vier Jahren.

Viele Beobachter hatten angesichts der unübersehbaren Armut und der allgegenwärtigen Unzufriedenheit vor dem achten Urnengang seit Ende des Krieges vor 22 Jahren eine Wahlbeteiligung weit unter 50 Prozent befürchtet. Die Bürgerinnen und Bürger Bosnien und Herzegowinas haben sie widerlegt.

Durchmarsch verhindert

Ebenfalls gut ist, dass die bosnischen Wähler verhindert haben, dass die beiden starken Männer der bosnischen Kroaten und Serben beide Mitglieder in der dreiköpfigen Präsidentschaft des Gesamtstaates werden. Vereint könnten Dragan Čović und Milorad Dodik, zwei Nationalisten, die immer wieder mit Abspaltung der von ihnen kontrollierten Teile des Landes spielen, das ethnisch fragmentierte Bosnien von innen zerstören.

Nun aber hat sich nur Dodik durchsetzen können. Čović verlor das Rennen um den Platz des Präsidiumsmitglieds "aus den Reihen des kroatischen Volkes" gegen Željko Komšić von der linksdemokratischen "Demokratischen Front", einen erklärten Gesamtbosnier und Antinationalisten.

DW-Redakteur Rüdiger Rossig (Foto: DW)
DW-Redakteur Rüdiger Rossig

Herrschaft zementiert

Das waren die Neuigkeiten von den Wahlen in Bosnien und Herzegowina. Bei den bosniakischen - früher sagte man muslimischen - Wählerinnen und Wählern setzte sich die muslimische Partei der demokratischen Aktion SDA durch. Und auch sonst: Alles wie gehabt.

Die Wahlen vom Sonntag haben wieder einmal gezeigt, dass die 1996 im Friedensvertrag von Dayton angeordnete ethnische Demokratie in Bosnien die Herrschaft der Nationalparteien zementiert. Das war wohl der Preis für ein schnelles Ende eines dreieinhalb Jahre dauernden Krieges, der über 100.000 Menschen das Leben kostete.

Alles ist national

Aber seit Dayton spielt die Nationalität der Bosnierinnen und Bosnier - also ob sie aus kroatisch-katholischen, muslimisch-bosniakischen oder serbisch-orthodoxen Elternhäusern stammen - auf allen politischen Ebenen die Hauptrolle. Dazu passt, das die bosnischen Politikerinnen und Politiker gerne vom "nationalen Interesse" reden - aber mit wenigen Ausnahmen nie von den Problemen, mit denen die Bürgerinnen und Bürger tagtäglich konfrontiert sind.

Die offizielle Arbeitslosigkeit in Bosnien liegt bei 25 Prozent, bei unter 25-Jährigen bei knapp 60 Prozent. Nicht nur bei Minderheiten wie den Roma sowie bei Rentnerinnen und Rentnern grassiert Armut. Der Lebensstandard stagniert bei 32 Prozent des Durchschnitts der EU. Eine unfähige Bürokratie, überlastete Gerichte, Korruption, chaotischer Verkehr, allgegenwärtige Umweltverschmutzung... - das ist der Alltag der meisten Bosnier.

Abstimmung mit den Füßen

Weil sich daran auch nach acht freien Wahlen seit Kriegsende vor 22 Jahren nichts geändert hat, stimmen die Bosnier mit den Füßen ab. Zehntausende wandern jedes Jahr aus. Wie immer sind es vor allem die Jungen, gut Ausgebildeten, die nach Westen ziehen, in die EU, oft nach Deutschland. Und das meist für immer.

Was Bosnien neben einer Verfassungsreform bräuchte, ist ein kleines Wirtschaftswunder. Eine Diaspora, die in der alten Heimat Bedingungen vorfindet, die sie animieren, zu investieren. Und manche dazu, mit Geld und Know-How aus dem Westen zurückzukehren und die Wirtschaft zu Hause in Gang zu bringen. Subventionen für innovative Unternehmen und Unternehmer.

Hilfe von Außen

Daran haben die Nationalisten aller Seiten, die Bosnien mit- und gegeneinander beherrschen, aber kein Interesse. Für sie sind neue Gedanken genauso wie neue Unternehmen Störungen im Normalbetrieb. Die Akteure, die Bosnien so reformieren, dass es als demokratischer Staat funktionieren kann, müssen von außen kommen. Aus der "internationalen Gemeinschaft", die die Dayton-Ordnung geschaffen hat - und Möglichkeiten und Mittel hat, sie zu ändern.

Stattdessen aber werden die internationalen Spieler in Bosnien immer passiver. Das betrifft allen voran die Europäische Union, deren einziges Protektorat neben Kosovo Bosnien ist. Das mächtige, reiche Europa hat sein Friedensprojekt auf dem Balkan nach 23 Jahren anscheinend endgültig sang-und klanglos aufgegeben. Und überlässt Bosnien den Nationalisten.

Bereit zur Demokratie

Mehr als die Hälfte der Bosnierinnen und Bosnier haben gezeigt, dass sie auch nach über 22 Jahren gescheiterter ethnischer Demokratie weiter bereit sind, sich am demokratischen Prozess zu beteiligen. Trotz aller Enttäuschung. Trotz Armut, Arbeitslosigkeit, Korruption, Bürokratie und Massenauswanderung.

Europa ist am Zug.