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Politik

Den deutsch-französischen Motor wieder zünden

DW-Kommentarbild Marina Strauß App PROVISORISCH
Marina Strauß
21. Januar 2019

Nörgler mögen den Aachener Vertrag als reine Symbolpolitik abtun. Dass die einstigen Erzfeinde Deutschland und Frankreich ihre Freundschaft erneuern wollen, ist trotzdem ein wichtiger Schritt, meint Marina Strauß.

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Gelebte Normalität: gemeinsame Beratungen des französischen Präsidenten und der deutschen BundeskanzlerinBild: Reuters/H. Hanschke

In meiner Erinnerung haben sich die Höhepunkte der deutsch-französischen Freundschaft in Bierzelten abgespielt. Ja, in den großen Zelten, in denen am Samstagabend Dutzende Menschen zusammenkommen, Alkohol trinken, Fettiges essen und Blasmusik hören. Die gibt es nämlich auch in Frankreich. Zumindest in Bourgueil, der Partnerstadt meines Heimatorts Reimlingen. Nur wurde dort Wein statt Bier getrunken und Coq au Vin statt Sauerbraten serviert.

An den Tischen saßen gedrängt abwechselnd Deutsche und Franzosen. Durch die Luft schwirrte ein Gemisch aus Deutsch und Französisch, ein paar Brocken Englisch schoben sich dazwischen. Man verstand sich, notfalls mit Händen und Füßen.

Die Partnerschaft zwischen der Kleinstadt Bourgueil im französischen Loire-Tal und meinem bayerischen Heimatdorf Reimlingen besteht seit Mitte der 1970er-Jahre. Für mich war es immer ein Höhepunkt, wenn "die Franzosen” kamen. Dann war mal was los bei uns, der Bürgermeister ließ eine Hüpfburg aufstellen, und wir durften bis tief in die Nacht aufbleiben.

Zwölf Stunden hin, zwölf Stunden zurück

Auch an die vielen Fahrten nach Frankreich kann ich mich gut erinnern. Gemeinsam mit vielen anderen Frankreichbegeisterten Reimlingern im Bus. Am Freitag zwölf Stunden hin, am Montag zwölf Stunden zurück. Ausgelassen war die Stimmung trotzdem.

Deutschland und Frankreich waren über Jahrhunderte hinweg erbitterte Feinde, sie bekämpften sich in zwei Weltkriegen. Dass sich die Menschen beider Völker - nur wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges - im Bierzelt an einen Tisch gesetzt haben, gleicht für mich immer noch einem Wunder.

Geschichte Deutschland Frankreich Umarmung Kuss Elysée-Vertrag
Umarmung nach der Unterschrift: Konrad Adenauer (Mitte li.) und Charles de Gaulle (Mitte re.) am 22. Januar 1963 Bild: Getty Images

Mit dem Elysée-Vertrag beschlossen der damalige französische Präsident Charles de Gaulle und der deutsche Kanzler Konrad Adenauer 1963 auch, solche Partnerschaften wie die zwischen Reimlingen und Bourgueil zu fördern - insgesamt gibt es mehr als 2000 zwischen deutschen und französischen Kommunen. Dahinter stand die tiefe Überzeugung, dass vor allem der konkrete zwischenmenschliche Austausch Grenzen zu überwinden hilft.

Mich hat diese Ortspartnerschaft sehr geprägt. Bourgueil war eine entscheidende Motivation für den mehrfachen Schüleraustausch, für ein deutsch-französisches Studium und für Freundschaften, die hoffentlich mein Leben lang halten werden.

Neue Symbole dringend gesucht

Tatsache ist, dass solche Partnerschaften eine Grundlage brauchen - und neue Symbole. Der Elysée-Vertrag ist lange her. Das Schwarz-Weiß-Bild von Adenauer und de Gaulle bewegt mich zwar bis heute, aber es ist ein Symbol der Vergangenheit. Notwendig ist jetzt vor allem der Blick nach vorne.

DW-Kommentarfoto von Marina Strauß
DW-Redakteurin Marina StraußBild: DW/K. Kaminski

Um den deutsch-französischen Motor in einem Europa, das von nationalen Egoismen durchfurcht ist, wieder richtig starten zu können, brauchen wir einen neuen Zünder. Genau das kann der Aachener Vertrag sein, den Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Emmanuel Macron am Dienstag unterzeichnen werden.

Ja, natürlich beschränkt sich da vieles auf reine Symbolik. Natürlich könnte er, wie viele Nörgler zu Recht sagen, ehrgeiziger sein, könnte vieles konkreter angehen. Und ja, natürlich könnte Deutschland auch mehr Leidenschaft zeigen - die Frischzellenkur für die deutsch-französische Freundschaft hat nämlich in erster Linie Emmanuel Macron angestoßen.

Trotzdem: Der Aachener Vertrag stellt Europa in den Mittelpunkt, verspricht, dass die beiden Staaten in der Europapolitik noch enger zusammenarbeiten wollen. Und: Er will auch die Städtepartnerschaften noch stärker fördern, weil sie eben Bürger der beiden Völker einander näherbringen.

Gemeinsam jubeln können

Das ist dringend nötig. Denn bald werden die Menschen, die noch miterlebt haben, wie sich beide Völker einst bekriegt haben, nicht mehr am Leben sein. Und genau deswegen brauchen wir für die nachwachsenden Generationen neue Symbole und neue Impulse für die deutsch-französische Freundschaft.

In Reimlingen ist die inzwischen alte Städtepartnerschaft übrigens immer noch quicklebendig: Als ich im Sommer zu Besuch war, jubelten dort die Mädchenfußballmannschaften von Reimlingen und Bourgueil gemeinsam über den Sieg der Franzosen im WM-Finale.