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Politik

Der Datendieb, Twitter und wir

Kommentarbild Muno Martin
Martin Muno
8. Januar 2019

Nein, es waren keine professionellen Hackerbanden, die private Daten von Politikern und Prominenten gestohlen haben. Dass es "nur" ein Schüler war, sollte uns aber nicht beruhigen, meint Martin Muno.

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Symbolbild Internet Spionage
Bild: picture-alliance/dpa/F. Gabbert

Ein 20-jähriger Schüler ist also für den Datendiebstahl verantwortlich, der die deutsche Öffentlichkeit seit vergangenen Freitag in Atem hielt. Ein Einzeltäter, der als Begründung für seine Tat Ärger über Äußerungen von Politikern und Prominenten angab. Weitergehende politische Motive gab es nach Angaben des Bundeskriminalamtes nicht. Demnach ist klar: Weder stecken ausländische Geheimdienste noch russische Trollfabriken hinter der Sache. Ist nun also alles wieder gut? Können wir erleichtert sein, dass es sich "nur" um einen digitalen Schülerstreich handelt? Nein, können wir nicht!

Denn der Fall legt mit erschreckender Deutlichkeit offen, dass unser Bewusstsein dem digitalen Fortschritt nur allzu oft hinterher hinkt. Und das in zweierlei Hinsicht: Zum einen gehen wir trotz aller Warnungen noch immer fahrlässig mit unseren privaten, teils sogar intimen Daten um. Zum anderen verändern gerade die sozialen Netzwerke unser Denken, Fühlen und Handeln in geradezu dramatischer Weise.

123456 statt Passwortmanager

Zum ersten Aspekt ist in den vergangenen Tagen eigentlich alles gesagt und geschrieben worden. Danach sitzt eine systemrelevante Schwachstelle für Datenschutz "im allgemeinen etwa einen halben Meter vor dem Bildschirm". Die Top 10 der beliebtesten deutschen Passwörter wurde auch 2018 von der originellen Zahlenkombination "123456" angeführt. Zwei-Faktor-Authentisierung, Passwortmanager oder gar Verschlüsselung sind für viele Nutzer böhmische Dörfer. Und der Begriff "Datensparsamkeit" ist den meisten schlichtweg unbekannt.

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DW-Redakteur Martin Muno

Der zweite Aspekt ist vielschichtiger und greift tiefer in unser gesellschaftliches Leben ein. Er beginnt beim geständigen Datendieb, reicht über Grünen-Chef Robert Habeck und führt uns schließlich zu uns selbst zurück. Was der 20-jährige Schüler betrieb, nennt man im Schöne-Neue-Medien-Sprech "Doxing", also das Publik-Machen privater Daten - meist mit dem Ziel, andere zu denunzieren oder angreifbar zu machen. Es sind heimtückische Taten, sie stellen andere öffentlich bloß. Der Täter blieb unbekannt und nutzte unter dem gekaperten Twitter-Account "Orbit" Missgunst und Häme - zwei Eigenschaften, die gerade in diesem Netzwerk aufblühen.

"Twitter triggert etwas in mir an"

Wobei wir bei Robert Habeck wären - auch er ein Opfer des Datendiebstahls, aber zugleich ein reuiger Täter bei Twitter. Seinen Abschied von der Plattform nach der Veröffentlichung eines Videos zum Thüringer Landtagswahlkampf, das im Ton völlig daneben geriet, begründete er mit den Worten: "Twitter ist, wie kein anderes digitales Medium so aggressiv und in keinem anderen Medium gibt es so viel Hass, Böswilligkeit und Hetze. Offenbar triggert Twitter in mir etwas an: aggressiver, lauter, polemischer und zugespitzter zu sein - und das alles in einer Schnelligkeit, die es schwer macht, dem Nachdenken Raum zu lassen."

Was der Grünen-Chef damit meinte, erlebt tagtäglich jeder, der sich in sozialen Netzwerken politisch äußert. Die ZDF-Journalistin Nicole Diekmann etwa wurde mit Wünschen überschüttet, sie möge vergewaltigt, ermordet oder verstümmelt werden, nur weil sie - ebenfalls auf Twitter - die zwei Worte "Nazis raus" gepostet hatte. Was wir derzeit erleben, ist nicht weniger als eine Verrohung der Diskussionskultur. "Das ist die soziale Pathologie unserer Zeit: dass sie uns einteilt und aufteilt, in Identität und Differenz sortiert", sagte die Publizistin Carolin Emcke schon 2016 in ihrer Dankesrede für die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Das gilt heute mehr denn je.

Nur die Spitze des Eisbergs

Was sich im Getümmel der politischen Auseinandersetzung findet, wirkt auch auf unsere allgemeine Diskussionskultur in den Netzwerken. Sie ist geprägt durch Slogans, Verkürzungen, Zuspitzungen und eine Ruppigkeit, die mittlerweile auch auf unsere Alltagskommunikation durchschlägt. Datendiebstahl und Doxing, um anderen zu schaden, sind somit die Spitze des Eisbergs. Dass wir im Begriff sind die respektvolle Kommunikation zu verlieren, ist der Teil des Eisberges unter Wasser. Und das ist stets der deutlich größere.

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Martin Muno Digitaler Immigrant mit Interesse an Machtfragen und Populismus@martin.muno