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Zersplitterter Irak

Peter Philipp24. Oktober 2006

Vor einem Jahr verkündete die Wahlkommission, dass die Iraker die neue Verfassung in einem Referendum angenommen haben. Dennoch stehen die Zeichen heute eher auf einer Zersplitterung des Landes, meint Peter Philipp.

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Wenn etwas im Irak heute vehementer bestritten wird als alles andere, dann die Behauptung, dass das Land sich in bürgerkriegsähnlichen Zuständen befinde. Schon vor Monaten machte der ägyptische Präsident Hosni Mubarak sich in Bagdad unbeliebt, weil er eben dies behauptet hatte. Gleichwohl haben gerade die Wochen des Fastenmonats Ramadan gezeigt, dass kaum eine Beschreibung treffender ist als die des Bürgerkrieges: Mindestens 6000 Iraker sind in diesen Wochen bei Anschlägen und anderen Terror-Akten getötet worden. Und auch die Vereinigen Staaten haben seit der Eroberung des Irak vor drei Jahren die höchste Verlust-Quote innerhalb eines Monats hinnehmen müssen.

Ungehörter Appell

Vertreter der wichtigsten religiösen Gruppen des Landes appellierten deswegen einige Tage zuvor bei einem Treffen in Mekka an ihre Glaubensbrüder im Irak, die Gewalttaten einzustellen und die Einheit des Landes zu bewahren. Ein Appell, der scheinbar ungehört blieb, denn die Kette der Bluttaten brach nicht ab.

Der Kommentator Peter Philipp

Nicht nur Terroristen, Widerständler oder als was sie sich immer verstehen mögen, tragen freilich ihren Teil dazu bei, dass der Irak nicht zur Ruhe kommt. Es sind dies auch die Politiker selbst. Das zeigt sich deutlich daran, dass man sich daran gemacht hat, die Verfassung zu überarbeiten, die erst vor einem Jahr am 25. Oktober 2005 mit großer Mehrheit angenommen worden war. So hat das Parlament Ende September 2006 einen Ausschuss gebildet, der untersuchen soll, ob die Verfassung in ihrer bisherigen Form Bestand haben soll und kann. Und gleichzeitig haben die Kurden im Nordirak begonnen, ihrem weitgehend autonomen Wohngebiet eine eigene Verfassung zu erarbeiten.

Zeichen stehen auf Zersplitterung

Hatte man vor einem Jahr noch gefeiert, dass die Zustimmung zur Verfassung ein klares Votum gegen den Zerfall des Irak in weitgehend autonome Regionen war, so stehen die Zeichen heute doch eher auf einer weiteren Zersplitterung des Landes. Die Kurden hatten sich ohnehin den Erhalt ihrer bereits unter Saddam Hussein erstrittenen Autonomie ausbedungen und nach der Abstimmung über die Verfassunges dauerte es nicht lange, bis auch die Schiiten eine ähnliche Autonomie forderten: Nur drei Monate nach der Abstimmung forderte Schiitenführer Abdelasis al-Hakim im Januar, dass Veränderungen im Verfassungsentwurf rückgängig gemacht werden, mit denen Schiiten und Kurden in letzter Minute die Teilnahme der Sunniten an der Abstimmung erkauft hatten.

Den Sunniten war zugestanden worden, dass die Verfassung durch eine Zweidrittelmehrheit geändert werden könne. Und dass damit weitgehende Autonomie-Zugeständnisse an Kurden und Schiiten rückgängig gemacht werden können. Hakim bestand darauf, dass an diesen Zugeständnissen nicht gerüttelt werden, denn Kurden und Schiiten seien sich in diesem Punkt einig. Und beide Gruppen repräsentieren immerhin gut drei Viertel der irakischen Bevölkerung.

Ungleiche Verteilung der Bodenschätze

Weitgehende Selbständigkeit der ethnischen und religiösen Gruppen wäre eigentlich gar nicht so schlecht für die Sunniten, die damit auch ihre Eigenständigkeit in einigen Provinzen erlangen würden. Wenn da nicht die ungleichmäßige Verteilung der Bodenschätze des Landes wäre: Die Ölquellen liegen fast ausschließlich im kurdischen Norden und im schiitischen Süden, während die Sunniten leer ausgehen. Besonders, nachdem die Kurden ihnen auch noch den Anspruch auf Kirkuk strittig machen - unter Saddam Hussein wurden die dort lebenden Kurden gezielt vertrieben und durch Sunniten ersetzt.

Das irakische Parlament hat nun begonnen, die föderale Aufteilung des Irak klar auszugestalten und die Machtbefugnisse der Zentralregierung wie auch der regionalen Verwaltungen eindeutig zu definieren und - scheinbar - zu begrenzen. Gleichzeitig aber hat es auch die Arbeit an dem von der Verfassung vorgesehenen Föderalismus aufgenommen, wie er von Kurden und Schiiten gefordert wird.

Sunnitische Angst

Einander widersprechende Aufgaben, die das Misstrauen besonders der Sunniten nur weiter verstärken, dass sie am Ende eben doch die großen Verlierer sein werden. Solche Furcht ist mit eine treibende Kraft hinter der Fortsetzung der interkommunalen und interreligiösen Gewalttaten. Und die Regierung des Schiiten Nuri al-Maliki ist nicht in der Lage, diese Gewalt einzudämmen. Die Eskalation zuhause und laute Überlegungen in Washington, das amerikanische Engagement neu zu formulieren, haben die irakische Regierung dazu gebracht, vor einem übereilten Abzug der US-Truppen zu warnen. Das wohl deutlichste Zeichen, dass der Irak ein Jahr nach Annahme der Verfassung von einer Lösung seiner Probleme weiter entfernt ist denn je.