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Politik

Der katalanische Nationalismus und der Blick zurück

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
19. Oktober 2017

Madrid greift durch und schränkt Kataloniens Autonomie ein. Barcelona beharrt weiter auf Unabhängigkeit. Barbara Wesel fragt: Was wollen die Nationalisten eigentlich? Ein Leben im 18. oder im 21. Jahrhundert?

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Spanien Barcelona Demonstration gegen Inhaftierung
Großdemonstration am Mittwoch in Barcelona für die Freilassung der beiden verhafteten Separatistenführer Bild: Imago/Agencia EFE/A. Estevez

Wie erwartet hat die spanische Zentralregierung ihre Drohungen wahr gemacht: Sie setzt den Artikel 155 der Verfassung in Gang, mit dem die Autonomie Kataloniens stark beschränkt oder völlig außer Kraft gesetzt werden kann. Die Lage ist dermaßen eskaliert, dass der Premierminister handeln musste. Er hatte sich darauf festgelegt, Recht und Ordnung wiederherzustellen. Ebenso wenig ist Barcelona aber bereit, die sogenannte "Unabhängigkeitserklärung" des Katalanenführers Puigdemont zurückzunehmen. Es ist wie eine Massenkarambolage bei Nebel auf der Autobahn. 

Ein absurdes politisches Versagen

Der Nebel ist diesem Fall politischer Natur. Was wir ins Spanien erleben, ist ein totaler Zusammenbruch der Staatskunst. Mariano Rajoy lässt politischen Instinkt vermissen und benimmt sich wie ein Jurist, den allein der Buchstabe und nicht der Sinn eines Gesetzes interessiert. Als Regierungschef fehlen ihm Geschmeidigkeit und emotionale Intelligenz. Er hätte schon vor Monaten verhindern müssen, dass der Konflikt dermaßen eskaliert und an die Wand fährt. Und Repression, wie die Verhaftung der beiden Unabhängigkeitsführer, führt nur dazu, dass die Gefühle weiter aufgestachelt und die Bewegung zusammengeschweißt wird.

Spanien Barcelona Barbara Wesel vor Palau de la Generalitat de Catalunya
Barbara Wesel in Barcelona vor dem Gebäude der katalanischen RegionalregierungBild: Getty Images/S. Gallup

Die katalanische Regionalregierung aber benimmt sich mindestens ebenso absurd: von Ideologie getrieben, starrköpfig und vor allem verantwortungslos. Die Truppe in Barcelona erinnert fatal an ein Studentenparlament: hitziges Gerede, heroische Beschlüsse und keiner redet über die Folgen. Deren Einschätzungen sind schlichtweg irrational. Die Unabhängigkeitskämpfer zeigen sich unbeeindruckt von abwandernden Firmen und abstürzendem Wachstum. Nicht einmal sinkende Touristenzahlen können sie beeindrucken. Jedes Opfer ist recht für die große Sache. 

Identitätspolitik und Machtstreben  

Was für ein Nationalismus aber ist es, für den hier die Barrikaden gebaut werden? Einerseits geht es um eine Identitätspolitik, wie sie sich weltweit ausbreitet: auf Abgrenzung bedacht, arrogant gegenüber den Nachbarn. Treibstoff ist ein Populismus, der virtuos Gefühle aufstachelt, schlaue  Propaganda und meisterhafte Manipulation über Soziale Medien betreibt.

Dahinter wiederum steht auch der banale Wille zur Macht bei den Akteuren in Barcelona. Die katalonische Regionalregierung hat es sich in ihren Ämtern bequem gemacht und Korruptionsvorwürfe bisher locker abgeschüttelt. Aber sie glaubte, den Preis noch in die Höhe treiben zu können. Carles Puigdemont will von einem Hilfspräsidenten  zu einem richtigen Regierungschef werden, an Gipfeltreffen teilnehmen, jemand sein auf der internationalen Bühne. 

Blick zurück statt nach vorn

Problem aber ist, dass das alles nicht zusammenpasst. Die Independentistas begründen ihre nationale Besonderheit mit einer verlorenen Schlacht im Jahr 1714. Damals nahm der spanische König die Stadt Barcelona im Handstreich ein. Katalonien war vor zweihundert Jahren das letzte Mal unabhängig und viele glauben jetzt, sie hätten historisch etwas nachzuholen. Dass erinnert an die Balkankriege oder den Brexit, überhaupt an alle irrationalen Aufwallungen von Geschichtsträumerei. 

Aber wie soll das eigentlich konkret gehen? Katalonien ist einer der zentralen Motoren der spanischen Wirtschaft und global erfolgreich. Aber das funktioniert nur im Verbund mit dem spanischen Staat und der Europäischen Union. Jetzt aber ziehen Großunternehmen in Scharen ihre Zentralen und Niederlassungen aus Barcelona ab - sie wollen keine unsichere Rechtslage und nostalgischen Gefühlsaufwallungen. Die Region lebt und arbeitet im 21. Jahrhundert, wendet aber ihren Blick zurück ins 18. Jahrhundert, in die Zeit des Königs Philip V. Dieser Spagat ist nicht durchzuhalten. Die Vorkämpfer für die Unabhängigkeit Kataloniens werden sich klar für ein Zeitalter, nämlich die Gegenwart, entscheiden müssen, sonst werden sie wirklich zu Verlierern der Geschichte.

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