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Der mediale Sündenfall

Astrid Prange4. April 2015

Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine hat die Maxime "bad news are good news" einen bitteren Beigeschmack. Journalismus nach dem Motto "Unsere tägliche Katastrophe gib uns heute" hat ausgedient, meint Astrid Prange.

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Germanwings / Absturz / Wrackteil
Bild: picture-alliance/dpa

Flugzeugabsturz, Amoklauf, Erdbeben, Attentate, Bomben, Enthauptungsvideos und Hungersnöte - das irdische Leid scheint keine Grenzen zu kennen. War die Germanwings-Katastrophe "nur" ein weiteres Element in der verhängnisvollen Kette menschlicher Abgründe, die zur täglichen Berichterstattung der Medien gehören? Können wir nach den Tagen des kollektiven Entsetzens zur Routine zurückkehren, nach dem Motto: Das nächste Unglück kommt bestimmt?

Die Antwort lautet eindeutig: Nein! Denn dieses Mal war die Katastrophe ganz nah. Niemand hierzulande konnte das Entsetzen und das Leid der Angehörigen per Knopfdruck ausschalten oder verdrängen. Der jähe Tod von 150 Menschen löste nicht nur Fassungslosigkeit aus, sondern eine tiefe Sehnsucht nach gemeinsamer Trauer, nach Stille, Anteilnahme und Respekt.

Hysterie und Leere

Die Jagd nach der schlechten Nachricht, die sich angeblich so gut verkauft, hat sich in leere Schlagzeilen und Aufsager verwandelt. Wozu TV-Korrespondenten in leere Abfertigungshallen postieren, wo sie auf die immer gleichen Fragen die immer gleiche Antwort haben? Wozu Reporter einsetzen, die in Haltern Angehörigen Geld bieten, um sie exklusiv in ihrer Trauer zu filmen? Wozu die Adresse und das Bild des Elternhauses des Co-Piloten ins Internet stellen?

Es gibt kein Entrinnen: Der mediale Sündenfall ist eingetreten. Die Medien selbst sind zur schlechten Nachricht geworden. Es helfen keine Verweise auf Klickzahlen, kein Wettern gegen ewig gestrige Moralapostel, keine Berufung auf das öffentliche Interesse. Es hilft nur Selbstkritik.

Deutsche Welle Astrid Prange De Oliveira
DW-Redakteurin Astrid PrangeBild: DW/P. Henriksen

Die Debatte ist überfällig. Ein Indiz dafür sind die mehr als 400 Beschwerden, die dem Deutschen Presserat mittlerweile über die Berichterstattung des Flugzeugabsturzes vorliegen. Die Frage lautet: Warum werden die ethischen Grundlagen, auf die sich die Branche 1973 im Pressekodex einigte, so massiv verletzt? Warum arbeitet eine Branche so hartnäckig daran, ihr eigenes Ansehen zu ruinieren und ihren Auftrag zu unterminieren?

Zu Recht machten User in den sozialen Medien ihrem Unmut über die "konventionelle" Katastrophen-Berichterstattung Luft. Doch auch die Debatte im Netz verläuft doppelzüngig. Denn gerade im Internet finden menschenverachtende Inhalte massive Verbreitung, wie die Enthauptungsvideos des IS zeigen. Um die ethischen Grundregeln des Pressekodex scheint sich dort keiner zu scheren.

Schluss mit dem Defätismus!

Bei einer selbstkritischen Debatte geht es nicht darum, Schuldige auszumachen und sie an den Pranger zu stellen. Egal, ob Online oder Print, ob privat oder öffentlich-rechtlich: Es nützt nichts, mit dem Finger auf "die anderen" zu zeigen. Und es nützt auch nichts, die Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Opfern und ihren Angehörigen damit zu rechtfertigen, dass andere dies bereits getan haben. Ein Fehler lässt sich nicht mit der Verfehlung anderer rechtfertigen.

Bei der notwendigen Selbstkritik geht es um die Suche nach gemeinsamen ethischen Grundsätzen, auf die sich alle Medien einigen können. Ohne diese Übereinkunft schaufelt sich die Branche ihr eigenes Grab. Denn wenn das Vertrauen in eine seriöse Berichterstattung zerstört ist, gibt es auch keine Leser oder User mehr, die sich dafür interessieren. Geschweige denn bereit sind, dafür zu bezahlen. Kurzum: Wenn die mediale Maxime "bad news are good news" weiterhin gilt, verkommt Journalismus zu Katastrophen-Pornographie.

Zugegeben: Auf den ersten Blick mag dies reichlich utopisch anmuten. Es ist auch leicht gesagt, insbesondere bei öffentlich-rechtlichen Medien, die mit Steuern oder Gebühren einen Großteil ihrer Ausgaben finanzieren. Doch die Überzeugungsarbeit für gemeinsame ethische Grundsätze muss weiter gehen. Alles andere wäre eine Bankrotterklärung vor den Opfern der unzähligen Katastrophen weltweit. Und für den Journalismus selbst.

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