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Mythos schwindende Meinungsfreiheit

Autorenbild Benjamin Restle
Benjamin Restle
2. Dezember 2019

In rechtskonservativen Kreisen wird behauptet, man könne in Deutschland kaum noch vom Mainstream abweichende Meinungen äußern, die Meinungsfreiheit sei in Gefahr. Dabei ist das Gegenteil der Fall, meint Benjamin Restle.

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Deutschland Anti-Rassismus-Demo "United against Racism" in Hamburg
Bild: picture-alliance/dpa/B. Marks

In jüngster Zeit haben konservative Beobachter wiederholt kritisiert, dass die Grenzen des Sagbaren in Deutschland immer enger gezogen würden. Dabei verweisen sie auf vermeintliche Tabuthemen, die nur noch hinter vorgehaltener Hand angesprochen werden dürften. Und deswegen sei nichts weniger als die Meinungsfreiheit in Gefahr.

Der Korridor des Sagbaren hat sich verbreitert

Doch das stimmt nicht - das Gegenteil ist der Fall! Mit den zunehmenden Wahlerfolgen der populistischen "Alternative für Deutschland" (AfD) und ihrer Metamorphose von einer wirtschaftsliberalen und sozial-konservativen hin zu einer in Teilen rechtsradikalen Partei, hat sich der Korridor des Sagbaren deutlich verbreitert.

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DW-Redakteur Benjamin RestleBild: DW/B. Geilert

Wirtschaftsliberale und wertkonservative Deutsche haben mit der AfD wieder eine politische Heimat gefunden. Und ihre Anliegen bringt diese Partei in Parlamente und die mediale Öffentlichkeit ein. Ihr Aufstieg begann mit der scharfen Kritik an der Gemeinschaftswährung Euro und der Politik zu ihrer Rettung. Heute sitzt sie im Bundestag und allen deutschen Landesparlamenten und positioniert sich als Partei gegen Dieselfahrverbote und jede Form angeblicher "Klimahysterie".

Positionen, die von keiner Partei sonst vertreten und ausweislich aller Umfragen auch von der Bevölkerungsmehrheit nicht geteilt werden. Doch sie sind und müssen weiterhin sagbar bleiben. Und Dank der AfD sind sie wieder Teil des öffentlichen und politischen Diskurses. Das Meinungsspektrum in Deutschland wird also nicht schmaler, sondern tatsächlich wieder breiter.

Es muss auch Grenzen geben

Gleichwohl muss es auch eine Grenze des Sagbaren geben. Rechtsradikale Elemente in der AfD arbeiten seit geraumer Zeit daran, diese Grenze immer weiter zu verschieben. Die Bagatellisierung der Nazi-Zeit und des Holocaust als "Vogelschiss", die Schmähung des Holocaustmahnmals in Berlin als "Denkmal der Schande", dumpfes Gerede vom "lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp", oder krude Panikmache à la "todbringende Messermigration" haben System. Sie wollen so geschichtsrevisionistisches und rassistisches Denken normalisieren. Und geben Menschen, die ein latent oder sogar gefestigt rechtsradikales Weltbild haben, das Gefühl, dieses wieder offen ausleben zu dürfen.

Diese Entwicklung ist hochgefährlich! Und hat nichts mehr mit einem für eine Demokratie begrüßenswerten, lebendigen Austausch unterschiedlicher Meinungen zu tun. Wo sind wir im Jahr 2019 hingekommen, wenn wir heute fast selbstverständlich vom "völkischen Flügel" in der AfD sprechen?

Etwas mehr Gelassenheit bitte!

Insgesamt täten wir in Deutschland aber gut daran, etwas gelassener mit Meinungen jenseits des Mainstreams umzugehen - sofern sie sich im Rahmen des Grundgesetzes bewegen. Meinungen verschwinden ja nicht, wenn man Menschen verbietet, sie auszusprechen. Das erlaubt ihnen vielmehr, sich als Opfer eines vermeintlichen Meinungsdiktats zu stilisieren. Stattdessen immer im Dialog und sachlichen Austausch bleiben. Und versuchen mit Argumenten zu überzeugen.

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