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Kommentar: Der Oscar ist kein Nobelpreis

Jochen Kürten
Jochen Kürten
29. Februar 2016

Was sagen uns die Academy Awards? Jochen Kürten meint: Nicht viel über die Klasse der Filme - aber einiges über den Zustand der Welt.

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Chris Rock bei der 88. Oscarverleihung (Foto: Reuters/M. Anzuoni)
Sein Jackett war ein Kommentar zur Debatte um die Nichtbeachtung schwarzer Filmschaffender: Moderator Chris RockBild: Reuters/M. Anzuoni

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Da tritt im Herbst in Stockholm ein Mann vor die Tür eines gefüllten Saales mit Pressevertretern aus aller Welt und verkündet den Nobelpreisträger in der Sparte Film. Undenkbar. Und doch gar nicht so abwegig. Schließlich gibt es doch auch einen Literaturnobelpreis.

In anderen Künsten, die auch keinen Nobelpreis kennen, wie beispielweise die Musik und die Architektur, gibt es vergleichbar hoch angesehene Auszeichnungen. In der Musikwelt zum Beispiel den Ernst von Siemens-Preis, für die Architekten den Pritzker-Preis.

Die Filmwelt aber hat doch den Oscar, werden manche nun einwenden. Doch der Oscar ist anders. Er ist anders, weil er sich, verglichen mit den erwähnten Preisen, in mehreren Dingen fundamental von ihnen unterscheidet.

Medienrummel und kommerzielles Großereignis

Erstens: Der Oscar ist ein nationaler Filmpreis. Er beschränkt sich - von ein paar wohldosierten internationalen Einsprengseln abgesehen - auf die englischsprachige Filmwelt. Ein Nobelpreis für Literatur, der sich Jahr für Jahr nur zwischen Schriftstellern wie Philip Roth und Toni Morrison, Jonathan Franzen und Joyce Carol Oates entscheiden könnte - undenkbar.

Zweitens: Der Oscar ist ein kommerzielles Medien-Großereignis. Zum einen, weil er den US-amerikanischen Kino-Markt stark beeinflusst, wenn es um die Produktionsabläufe und Starttermine der einzelnen Filme geht. Zum anderen, weil die Übertragung der Oscar-Zeremonie inzwischen ein so stark beachtetes Medienereignis ist, dass alles andere, auch die ausgezeichneten Filme, in den Hintergrund treten.

Und Drittens: Die Berichterstattung im Vorfeld dieser Preisverleihung hat inzwischen absurde Dimensionen angenommen.

Konzentrierter Blick auf die großen Produktionen aus Hollywood

Der Oscar sagt nichts aus über den Stand des Weltkinos in künstlerischer Hinsicht. Er zeigt nicht auf, wie die großen Linien der siebten Kunst verlaufen, rückt keine innovativen Filmemacher anderer Kontinente und Nationen ins Rampenlicht. Das wird oft vergessen bei dem gewaltigen Medienrummel um diesen Filmpreis.

DW-Redakteur Jochen Kürten (Foto: DW/Per Henriksen)
DW-Redakteur Jochen KürtenBild: DW/P. Henriksen

Dass in diesem Jahr wieder einmal ein paar sehr gute und auch künstlerisch interessante Filme aus dem englischsprachigen Raum ausgezeichnet wurden, spricht nicht gegen diese These. "Spotlight" ist ein dynamisch inszenierter Film über zwei wichtige Themen: den Missbrauchskandal innerhalb der katholischen Kirche und den investigativen Journalismus. "The Revenant" ist ein überwältigender Naturfilm mit großartigen Bildtableaus. Die sechs Oscars für "Mad Max" und Preise für Filme wie "Ex Machina" und "Alles steht Kopf" lenken die verdiente Aufmerksamkeit auf die Hexenmeister des Filmhandwerks der großen amerikanischen Studios.

Der Wert des Oscars: Diskussionen über die Probleme der Welt

Doch sagen uns diese Preise irgendetwas über den Wert und die künstlerische Entwicklung des Kinos? Kaum - sieht man einmal ab von der des nicht unwichtigen US-Films.

Der Wert des Oscars liegt woanders. Er lenkt den Blick der Weltöffentlichkeit auf gesellschaftliche Zustände und Probleme. Auf die Nichtbeachtung schwarzer Filmkünstler in diesem Jahr vor allem - und die Probleme innerhalb der Vereinigten Staaten. Das wurde am eigentlichen Oscar-Abend von Moderator Chris Rock mit Anspielungen und bissigen Kommentaren sogar noch auf die Spitze getrieben.

Vom Klimawandel und Mädchenmorden

Die Zuschauer an den Fernsehgeräten wurden auch auf den bedrohlichen Klimawandel in der Welt aufmerksam gemacht - durch den Oscarprämierten Schauspieler Leonardo DiCaprio. Und manche dürften - aufgrund der Auszeichnung des pakistanischen Kurzdokumentarfilms "A Girl in the River -
The Price of Forgiveness"- zum ersten Mal von den vielen Morden an jungen Mädchen auf dem Subkontinent erfahren haben.

Dass darüber nun gesprochen wird, ist ein Verdienst der Oscar-Verleihung. Und freuen über die vielen bunten Bilder vom roten Teppich darf man sich ja auch. Für die allermeisten Zuschauer dürfte das sowieso der Hauptgrund sein, die Fernsehapparate anzuschalten. Kommerziell zahlt sich ein Oscar für die Geehrten ja sowieso aus. Doch ein Nobelpreis für die Welt des Kinos, der den Blick auf Kunst und Kultur, auf Inspiration und Innovation richtet, ist der Oscar nicht.

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