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Kommentar: Der Preis der Courage

Rainer Traube 7. Januar 2015

Darf Satire wirklich alles? Wo endet die Freiheit, wenn es um Religion geht? Diese Fragen stellen sich viele nach dem Attentat auf das Satiremagazin Charlie Hebdo – doch es sind die falschen Fragen, meint Rainer Traube.

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Trauer nach Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris
Bild: AFP/Getty Images/D. Meyer

Darf Satire wirklich alles? Wo endet die Freiheit, wenn es um Religion geht? Diese Fragen stellen sich viele nach dem Attentat auf das Satiremagazin Charlie Hebdo – doch es sind die falschen Fragen. Tucholskys strapaziertes Zitat, "Satire hat eine Grenze nach oben", hat sich spätestens seit dem Streit um die Mohammed-Karikaturen überholt. Ein Jahrzehnt lang hatten wir Zeit, jedes Argument zu drehen und zu wenden, zu differenzieren, abzuwägen.

Es spielt keine Rolle mehr, ob die "Charlie Hebdo"-Redaktion mit ihren Artikeln und Karikaturen gelegentlich über das Ziel hinaus schoss. Das Massaker von Paris verändert die Perspektive. Zu lange haben wir uns hinter der "Wo sind die Grenzen der Kunst"-Diskussion versteckt und uns um die eigentliche Frage herumgedrückt: Sind wir bereit, den Preis der Freiheit zu bezahlen? Die ermordeten Redakteure im elften Arrondissement in Paris hatten den unerhörten Mut, Drohungen und Pressionen standzuhalten und einfach ihren Job zu machen. Sie gingen Frankreichs Politikern auf die Nerven, ertrugen Kritik von Kollegen und lebten mit Todesdrohungen.

Wer schützt die Mutigen?

Seit heute kennen wir den Preis dieser Courage. Und schon stellt sich die nächste bange Frage: Wenn der mörderische Furor der Fanatiker bis in die Redaktionsräume hineinreicht, wer schützt die Mutigen? Bleiben überhaupt noch Mutige übrig? Unmittelbar nach dem Pariser Anschlag haben sich manche Redaktionen dafür entschieden, die Fotos heikler "Charlie Hebdo"-Titel unkenntlich zu machen. Vorsorglich. Machen wir uns nichts vor, die Angst geht längst um in den Redaktionen.

Rainer Traube
Rainer TraubeBild: Privat

Es ist aber auch etwas anderes passiert an diesem Tag: Kurz nach dem Attentat solidarisieren sich Menschen weltweit mit "Charlie Hebdo". Unter dem Hashtag "#Je SuisCharlie" signalisieren sie: Jeder von uns ist Charlie. Jeder Journalist. Jeder Künstler. Jeder, der sich offen äußert. Ein kollektiver digitaler Aufschrei, der von Stunde zu Stunde lauter wird. Wir alle brauchen jetzt solche Aktionen gegen das Verzagen. Damit wenigstens ein anderes oft strapaziertes Zitat nicht seinen Sinn verliert: "Mir gefällt deine Meinung nicht, aber ich verteidige um jeden Preis dein Recht, sie zu sagen." Auch wenn wir heute wissen, dass der große Aufklärer Voltaire das so nie wörtlich geschrieben hat: Er hatte Recht.