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Der Umwelt-Papst

25. September 2015

Es ist ein dramatischer Appell des Papstes an die Staaten der Welt: Franziskus hat die Stimme der Armen und die Bedenken von Umweltgruppen in die Vollversammlung der Vereinten Nationen gebracht, findet Christoph Strack.

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Papst Franziskus UN Rede PHOTO / TIMOTHY A. CLARY
Bild: Getty Images/AFP/T.A. Clary

Seine Rede begann mit einer Verbeugung vor all dem, was die Weltorganisation seit ihrer Gründung vor 70 Jahren geleistet hat. Doch dem folgte rasch eine Auflistung dessen, was an Missständen, an Handlungsdruck besteht. Von ungerechten Strukturen im internationalen Finanzwesen über die globalen Krisen der Umwelt und der Armut bis zur Absage an bewaffnete Konflikte, an Atomwaffen und Hochrüstung. Und das waren Gewiss keine naive Äußerungen, da man weiß, welche Rolle Franziskus für den Neubeginn zwischen den Erzfeinden USA und Kuba spielte. Und auch bei der aufscheinenden Aussöhnung in Kolumbien, einem ewigen, blutigen Konflikt, scheint er involviert.

Es war eine - in Stil und Wortwahl - ganz andere Rede als am Vortag vor beiden Häusern des Kongresses in Washington. Phasenweise ging es ins Staatstheoretische. Und es passte, dass Franziskus bei seinen Überlegungen zur Herrschaft des Rechts und zur Bedeutung von Gemeinwohl und Gemeinwesen ausdrücklich seinen Vorgänger Benedikt mit dessen Rede im Bundestag zitierte. Auch dessen wunderbare Rede wurde damals hochgepriesen, totgelobt und dann zwischen Buchdeckeln abgelegt.

Auftritt mit eigener Qualität

Strack Christoph Kommentarbild App
Christoph StrackBild: DW

Ob der Rede von Franziskus nun ein anderes Schicksal bevorsteht? Es war, fast auf den Tag genau 50 Jahre nach dem damals weltbewegenden Auftritt von Papst Paul VI. am 4. Oktober 1965, der insgesamt fünfte Auftritt eines katholischen Kirchenoberhaupts an dieser Stätte. Aber er hatte eine eigene Qualität. Die Vorgänger sprachen in Sondersitzungen. Da kam gelegentlich aus katholisch geprägten Ländern Prominenz, aus anderen diplomatische Staffage. Bei Franziskus war es nun eine Rede im regulären Programm, vor weit mehr als 100 Staats- und Regierungschefs. Und er verwies ausdrücklich auf den UN-Gipfel zu nachhaltiger Entwicklung an diesem Wochenende am New Yorker East River und - inständig - auf den Pariser Umwelt-Gipfel in zwei Monaten. Wenn die heutige Rede nicht wenigstens im Ansatz Folgen zeitigt, dann sollte man über den Sinn solcher Reden nachdenken.

Mehrfach zitierte der Papst seine Enzyklika "Laudato Si" vom Sommer, mahnte die Pflege des "gemeinsamen Hauses" an. Da müsse mehr passieren als nur die nächste Agenda. Und immer geht es bei Franziskus, wenn es um Umwelt geht, um die Menschen, die Armen. Sie leben vielleicht nicht oder eher selten im Staatsgebiet der Obamas, der Merkels und Camerons und wie die Lenker der Industrieländer noch heißen. Aber sie leben und leiden in den weltweiten Sprengeln des Franziskus. "Der Mensch ist ein Teil der Umwelt. Jede Schädigung der Umwelt ist eine Schädigung der Menschheit", mahnte er. Und das sei allen Religionen gemein - für jede Religion sei "Umwelt ein religiöses Gut".

Gegen die "Wegwerfkultur"

Die Ärmsten, so Franziskus, "sind von der Gesellschaft weggeworfen. Und sie sind gezwungen, von Weggeworfenem zu leben. Und sie müssen die Folgen des Missbrauchs der Umwelt erleiden." Das sei, und das Wort steht wegen seiner Unkultur, bei Franziskus auch in Anführungszeichen, Ausdruck einer "Wegwerfkultur".

Mehr Engagement zur Konfliktlösung, Nein zu Hochrüstung und Atomwaffen, der Hass des Islamischen Staats gegen Andersgläubige - viele weitere Themen tangierte Franziskus. Deutlich bleiben wird seine einleitende Kritik am internationalen Finanzsystem.

Und dann wurde der Papst drastisch: "kollektiver Egoismus", "unkontrollierter Ehrgeiz", Ausgrenzung vieler Länder, Missbrauch und "Zinswucher" gegenüber Entwicklungsländern, "erstickende Unterwerfung" unter Kreditsysteme. Franziskus fordert viel von den UN, konkrete Fortschritte, größere Gerechtigkeit durch eine Einbindung aller Staaten, ein Ende des "Jochs" der Finanzmechanismen.

Unterjochung durch Finanzmechnismen

Da sprach gewiss nicht nur der Papst der vergangenen zwei Jahre. Nein, da sprach auch der argentinische Jesuit und Erzbischof Jorge Mario Bergoglio, der einst die Härte der Pleite seines Landes miterlebte. Ein einziges Stück weltlicher Literatur nannte Franziskus in seiner Rede. Gegen Ende, es wirkte wie ein Rahmen zur einleitenden Systemkritik. "Der Gaucho Martin Fierro" ein argentinisches Nationalepos aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Da geht es, unter anderem, um die Klage gegen den Fortschritt, gegen die Dominanz der Großgrundbesitzer und die Rückbesinnung auf das Individuum. Manche sehen es als Aufschrei gegen die Europäisierung.

Franziskus kam aus Europa an den New Yorker East River. De facto kam da jemand von ganz weit her und in vieler Menschen Namen ins Weltparlament. Dessen Entscheider sollten nach dieser Rede nicht einfach die Agenda weiter abarbeiten. Das würde ihr wahrlich nicht gerecht.