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Deutsche Wirtschaft wächst - noch

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Henrik Böhme
13. November 2015

Milliardenverluste bei deutschen Konzernen, Krisen in Schwellenländern: Trotzdem bleibt Deutschlands Wirtschaft auf Wachstumskurs. Passt das zusammen? Ja, aber die Einschläge kommen näher, meint Henrik Böhme.

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Deutschland Konjunktur (Symbolbild)
Bild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Verrückte Zeiten! Da melden große deutsche Konzerne wie Volkswagen, Deutsche Bank und Eon für das dritte Quartal Verluste, die sich auf horrende 16 Milliarden Euro summieren. Schlechte Nachrichten kommen auch aus vielen Ländern der Welt, die mal als wirtschaftliche Hoffnungsträger galten. Aus Brasilien etwa oder Russland, beide stecken aus unterschiedlichen Gründen in der Rezession fest. Auch in China läuft der Motor nicht mehr wirklich rund. Die Länder, die mit dem Verkauf von Öl ihr Staatssäckel füllen, haben Probleme mit dem niedrigen Ölpreis. Und ja, auch eine alte Bekannte taucht am Horizont wieder auf: die Eurokrise.

Alles wird gut?

Und dann am Morgen der erste Blick aufs Smartphone, wo die News schon tickern: Deutsche Wirtschaft wächst weiter. Mit dem klitzekleinen Zusatz: moderat. Und wenn schon: Ein Plus von 0,3 Prozent im dritten Quartal ist zwar etwas weniger als von den Auguren vorhergesagt, aber es bleibt ein Plus. Also alles gut? Nicht wirklich.

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Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion

Auch wenn das aufs Jahr vorhergesagte Wachstum der deutschen Wirtschaftleistung von im Mittel 1,5 Prozent noch im Bereich des Möglichen bleibt: Die Risiken überwiegen. Denn zu einem großen Teil ist es der Konsum, der die Wirtschaft am Laufen hält. Und auch, wenn die deutschen Exporteure in diesem Jahr wohl auf eine neue Rekordmarke zusteuern, kann das nicht über die Probleme hinwegtäuschen. Denn dieser Ausfuhrrekord, er basiert aus längst erteilten Aufträgen. Doch mit neuen Bestellungen sind die Kunden vorsichtig. In den Schwellenländern, die unter einer massiven Schuldenlast ächzen, zum einen, aber auch in Deutschland selbst halten vor allem viele Mittelständler ihr Geld, von dem sie derzeit reichlich haben, lieber zusammen.

Stunde der Pessimisten

Das führt in Summe dazu, dass die Industrie - und damit das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, Schwächen zeigt. Schon drei Monate in Folge gehen die Aufträge zurück, das ist die längste Negativserie seit vier Jahren. Die Ursachen dafür liegen auf der Hand. Das Russland-Geschäft der deutschen Maschinenbauer verzeichnet auf Grund der Sanktionen massive Einbußen. Die Ölförderländer verdienen angesichts des halbierten Ölpreises deutlich weniger und verzichten vorerst auf Investitionen. Das belastet deutsche Unternehmen, die - wie gesagt - genug Geld auf der hohen Kante haben und angesichts äußerst günstiger Kredite ihre Produktion eigentlich modernisieren könnten. Wollen sie aber nicht, weil die allgemeine Lage eher den Pessimisten in die Hände spielt.

Zu dieser Unsicherheit tragen noch etliche andere Faktoren bei: Die Ungewissheit über die Zinswende in den USA. Der mögliche EU-Ausstritt Großbritanniens - das Königreich nimmt mehr deutsche Waren ab als China. Spätestens seit dem Linksruck in Portugal sowie mit den neuerlichen Reformverzögerungen in Athen rückt auch ein Comeback der Eurokrise wieder ins Blickfeld.

Umstritten ist zudem, welchen Effekt der Zustrom der Flüchtlinge haben wird. Kurzfristig sicher einen positiven, da der Staat seine Ausgaben deutlich erhöhen muss, um der Probleme wie Unterbringung und Versorgung Herr zu werden. Aber ob und wann die Flüchtlinge selbst dazu beitragen, die Wirtschaftleistung anzukurbeln, das wird davon abhängen, wie schnell sie in die Gesellschaft integriert werden können.

Alles in allem ein ziemlich schwer zu verdauender Mix. Deutschland muss jetzt zeigen, ob es trotz Gegenwind die Konjunkturlokomotive Europas sein kann oder doch eben nur ein mäßiger Segler ist, der bei ungünstigem Wind nicht mehr vorankommt.

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Henrik Böhme Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Auto- und Finanzbranche@Henrik58