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Politik

Deutschland wagt wieder was

26. Januar 2019

Lange war Deutschland Vorreiter beim Klimaschutz. Der Kompromiss zum Ausstieg aus dem Kohlestrom hat das Zeug, Deutschland wieder als Klimaschutznation nach vorne zu bringen, meint Volker Witting.

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Klimawandel | Symbolbild
Bild: picture-alliance/dpa/Geisler-Fotopress

Es ist so etwas wie die Zeitenwende in der deutschen Energiepolitik. Der Vorsitzende der Kohlekommission, Ronald Pofalla, spricht in der Pressekonferenz am Samstag sogar von einem "historischen Kraftakt". Deutschland soll bis 2038 aus der Kohleverstromung aussteigen. Vielleicht sogar drei Jahre früher. Das jedenfalls wünscht sich die sogenannte Kohlekommission. Ein Gremium, dem Vertreter der Industrie, der Energieproduzenten, Gewerkschaften, Umweltverbänden und Bürgerinitiativen angehören. 27 von 28 Mitgliedern haben dem Kompromiss zum Ausstieg zugestimmt, in einer Sitzung bis in die frühen Morgenstunden. "Hier ist Schwerstarbeit geleistet worden", sagt Pofalla sichtlich erschöpft.

Deutschland wieder Vorreiter?

Mit den Empfehlungen der Kohlekommission hat sich die einstmalige Umweltschutz-Vorreiter-Nation Deutschland zurückgemeldet. Einst war Deutschland das Paradebeispiel einer Industrienation, die schnell und effizient den Klimawandel vorantreibt: Lang ist das her. In den letzten Jahren hat Deutschland immer wieder die selbst gesteckten Klimaschutzziele gerissen.

Witting Volker Kommentarbild App
DW-Redakteur Volker Witting

Sollten die Empfehlungen der Kommission nun von der Politik umgesetzt werden, hätte sich Deutschland zurückgemeldet als Klimaschutzpionier. Selbst die kritischen Umweltschutzverbände loben den Kompromiss; der Ausstieg aus der Kohleverstromung sei geschafft. Deutschland könnte also bald grüner, umweltfreundlicher, innovativer werden. Die Bundeskanzlerin stand einmal für diese Richtung - auch das ist lange her.

Deutschland drückt sich um eigene Klimaschutzziele

Deutschland will den Treibhausgas-Ausstoß drastisch reduzieren: Bis 2030 um 55 Prozent, bis 2050 um 80 bis 95 Prozent. Ohne einen Ausstieg aus der Verbrennung von Kohle, die für einen Großteil der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, geht das nicht. Mehr als ein Drittel des Stroms in Deutschland kommt noch aus Braunkohle- oder Steinkohlekraftwerken. Um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen, geht es nicht ohne einen Ausstieg aus der Kohlekraft. Diese Einsicht hat sich nun durchgesetzt. Schrittweise sollen zunächst die alten Meiler heruntergefahren werden. Im Jahr 2030 wären dann nur noch sehr moderne Kohlekraftwerke am Netz; mit einer Gesamtleistung von 17 Gigawatt. Der ganze Prozess soll immer wieder überprüft werden. Und wenn alles nach Plan läuft, könnte der Ausstieg auch schon 2035 gelingen.

Weg vom Kohlestrom

Die Mitglieder der Kommission haben einen klugen Kompromiss ausgehandelt und sie wissen, dass rund zwei Drittel der Deutschen genau auf dieses Signal gewartet haben. Sie wollen, so neueste Umfragen, einen Ausstieg aus der Kohleverstromung. Auch wenn der Milliardensummen kosten wird.

Die Wissenschaftlerin Barbara Praetorius, Mitglied der Kohlekommission, sagt an diesem Vormittag auch dies: "Der Konflikt um das Bedürfnis, dass man mehr Klimaschutz will - davon bin ich überzeugt - ist befriedet worden." Das ist vielleicht das typisch deutsche an den Vorschlägen: Brücken schlagen, alle mitnehmen, Frieden bewahren, Konsens suchen und dennoch handeln. Dafür stehen die Vorschläge. Nicht vergessen sind die radikalen Proteste für eine Erhaltung des Hambacher Forst', der den Kohlebaggern geopfert werden sollte. Auch die Schülerproteste für entschiedeneres Engagement beim Klimaschutz sind noch präsent.

Für die Braunkohleregionen - vor allem in Ostdeutschland - sind die Vorschläge ein Chance: Milliardenzusagen für den Strukturwandel und weniger Dörfer, die weggebaggert werden. Der Innenminister hat darüber hinaus noch rund 5000 neue Bundesstellen in den betroffenen Regionen versprochen. Der Strukturwandel kriegt eine solide Basis.

Bundesregierung muss handeln

Jetzt sind die Regierung und die Bundesländer am Zug. Sie müssen in den kommenden Monaten die Vorschläge in Gesetze fassen, mit den Energieversorgern verhandeln und dabei nicht einknicken. Ist das geschafft, fehlt eigentlich nur noch der lange versprochene Ausbau der Stromleitungen. Denn schon heute wird in Norddeutschland mehr Strom produziert, als transportiert werden kann. Da muss sich etwas tun! Der Ökostrom muss schnell und ungehindert fließen, damit Deutschland wieder zu einer Vorzeigenation wird, die zeigt, dass es auch ohne Kohle und Atomstrom geht. 

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online