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Die Akte Winterkorn

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Henrik Böhme
4. Mai 2018

Der Vorwurf lautet auf Verschwörung zum Verstoß gegen US-Umweltgesetze. Das ist noch keinem deutschen Unternehmenschef widerfahren. Der frühere VW-Chef sollte sich endlich ehrlich machen, meint Henrik Böhme.

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Deutschland Volkswagen Auspuff Abgase Martin Winterkorn
Martin Winterkorn war als VW-Chef dafür bekannt, sich für jedes technische Detail zu interessierenBild: picture-alliance/dpa/M. Murat

Als hätte man sich abgesprochen: Am Donnerstagabend um 21.51 Uhr deutscher Zeit verschickte der Volkswagen-Konzern eine Pressemitteilung zum Ende der Hauptversammlung in Berlin. Mit der bemerkenswerten Erfolgsquote von rund 93 Prozent haben die Aktionäre für die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat gestimmt. Drei Minuten später liefen die erste Eilmeldungen über die Ticker der Nachrichtenagenturen: Ex-Volkswagen-Chef Martin Winterkorn wird in den USA der Mittäterschaft im Dieselskandal beschuldigt. So steht es in der erweiterten Anklageschrift des zuständigen Gerichts in Detroit, Michigan.

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Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion

Diese erweiterte Anklageschrift existiert schon seit März. Warum sie erst jetzt öffentlich wurde, weiß man nicht. Vielleicht musste Martin Winterkorn erst an einen sicheren Ort gebracht werden. So oder so wiederholt sich ein schon bekanntes Szenario: Immer wenn sich Volkswagen geläutert gibt, rückt die düstere Vergangenheit wieder ins Rampenlicht. So geschehen auch am Donnerstag: Da bemühte sich der gerade auf den Konzern-Chefsessel gerückte Herbert Diess redlich, seine Vision klarzumachen. Volkswagen müsse "anständiger" werden - so seine Kernbotschaft. Und prompt - siehe oben - macht die Justiz, in diesem Falle die US-amerikanische klar, dass VW es damit sehr ernst meinen sollte.

Dieselgate wird noch lange der Begleiter sein.   

Der neue VW-Chef Diess scheint, zumindest nach Lage der Dinge jetzt, der richtige Mann zu sein, um den Autobauer in eine ruhigere Zukunft zu führen. Er kam erst im Sommer 2015 von BMW zu Volkswagen, und es könnte sein, dass er von den Abgas-Tricksereien erst vergleichsweise spät erfahren hat. Aber es geht ja in den laufenden Ermittlungen - ob in den USA oder Deutschland - vor allem um die Frage: Was wusste Martin Winterkorn - und vor allem, wann? Bislang hat der sich immer darauf berufen, nicht wirklich in die Details eingeweiht gewesen zu sein. Aber ich kann nur meine Fragen wiederholen, die ich immer stelle, wenn es um diesen Sachverhalt geht: Wie kann einer, ein Ingenieur mit Leib und Seele, studierter Physiker obendrein, einer, der sich für jedes Spaltmaß interessierte, wie kann so einer nicht zumindest mal die Frage stellen: Wie habt ihr das mit den Schadstoffgrenzwerten hinbekommen? 

Fragen über Fragen, keine Antworten.

Volkswagen wollte, weil sich die Benziner auf dem US-Markt nicht wirklich gut verkauften, den Diesel um jeden Preis in den US-Markt drücken. Als "überlegene, saubere Technologie". So wurde dafür geworben. Als die Amerikaner die Schadstoff-Grenzwerte immer strenger machten (man darf spekulieren: Um den Deutschen den Marktzugang zu erschweren?) wurden die VW-Ingenieure erfinderisch. Sie fingen an, zu betrügen. Und irgendwann flog der Schwindel eben auf. In den USA ging es von Beginn der Ermittlungen an vor allem um die Täuschung der Verbraucher, schlicht um Betrug. Ermittelt wurde schon immer auch gegen hochrangige Manager, nur einen allerdings konnten sie in den USA verhaften: Ein gewisser Oliver Schmidt machte den Fehler, in Florida Urlaub zu machen. Da klickten die Handschellen. Dies wird Martin Winterkorn sicher nicht passieren. Er sitzt in seiner Trutzburg irgendwo zwischen Braunschweig und Wolfsburg, mit einem beheizten Teich, damit die teuren Koi-Karpfen keine kalten Flossen kriegen. Das alles bei einer üppigen Pension von 3100 Euro - pro Tag versteht sich. Sicher werden die Amis keine Navy Seals schicken, um Winterkorn zu holen.

Warum macht er sich nicht ehrlich?      

Trotzdem wird es nichts mit einem ruhigen Lebensabend für Martin Winterkorn. Er, der Volkswagen wirklich wieder groß gemacht hat, zum größten Autobauer der Welt. Ja, mit fragwürdigen Führungsmethoden, die mehr an Politbüro denn an modernes Management erinnerten. Der Fehler machte. Der aber nicht in der Lage war und ist, Fehler zuzugeben. Er könnte sich ehrlich machen. Aber weil eben auch in Deutschland gegen ihn ermittelt wird (auch wenn es hier "nur" darum geht, die Aktionäre zu spät informiert zu haben), schaut er lieber seinen Koi-Karpfen beim Schwimmen zu.

Die US-Justiz gibt nun also die Richtung vor: Sie ist der Überzeugung, Martin Winterkorn sei Mittäter. Die Staatsanwälte in Braunschweig, wo ebenfalls eine Akte Winterkorn liegt, werden sich das hoffentlich sehr genau anschauen.

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Henrik Böhme Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Auto- und Finanzbranche@Henrik58