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Politik

Die große Schweinerei bei Tönnies

Soric Miodrag Kommentarbild App
Miodrag Soric
18. Juni 2020

Noch leugnet die Geschäftsleitung jede Verantwortung für den Corona-Massenausbruch in Europas größtem Fleischkonzern. Jetzt müssen viele Außenstehende eine Katastrophe ausbaden, die absehbar war, meint Miodrag Soric.

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Symbolbild Fleischindustrie Deutschland
Mehr als 20 Millionen Schweine pro Jahr werden bei Tönnies geschlachtet - drei Viertel davon in DeutschlandBild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Wie nennt man Menschen, die den Tod anderer billigend in Kauf nehmen, um noch ein bisschen reicher zu werden? Skrupellos? Rücksichtslos? Geldgierig? Menschenverachtend? Alles Attribute, die man dem Management des Fleischkonzerns Tönnies in Westfalen anheften kann. Denn wie gefährlich das Corona-Virus ist, wie schnell es sich gerade in dieser Industrie verbreitet, ist der für die aktuelle Katastrophe verantwortlichen Geschäftsführung seit Monaten bekannt.

Dass auch im Hauptbetrieb des größten deutschen Fleischkonzerns, so wie in anderen Schlachtereien zuvor, die Pandemie ausbricht, war nur eine Frage der Zeit. Die Leiharbeiter aus Ost- und Südosteuropa schuften unter teilweise unmenschlichen Bedingungen, stehen etwa bei der Zerlegung der toten Tiere dicht beieinander. Sie wohnen in beengten Quartieren, Sammelunterkünften, in denen sie sich - selbst wenn sie es wollten - gar nicht aus dem Weg gehen können.

Moderne Sklaven

Menschenrechtler, Arbeitsschutz-Experten oder Ärzte fordern schon seit Monaten, dass jedem Beschäftigten ein eigenes Zimmer zugewiesen wird. Nur so ließe sich die Ausbreitung des Coronavirus zumindest bremsen. Doch das würde Geld kosten, die Millionengewinne von Tönnies etwas reduzieren. Für die Geschäftsführung offensichtlich unzumutbar.

Miodrag Soric ist DW-Chefkorrespondent
Miodrag Soric ist DW-Chefkorrespondent

Die Schlachter und Fleischzerleger aus Polen, Rumänien oder Bulgarien arbeiten im Vergleich zu ihren deutschen Kollegen für einen Hungerlohn. Sie gleichen modernen Sklaven. Eine Alternative haben sie kaum: In ihren Heimatländern verdienen sie noch weniger. Und doch: Es sind Menschen, deren Würde das Grundgesetz genauso garantiert wie das aller anderen Bürger in Deutschland. Es ist moralisch verwerflich, sich an der Not dieser Menschen zu bereichern, wie es die Geschäftsführung von Tönnies tut.

Deren Engagement im Fußballsport oder für den Tierschutz wirkt wie eine billige Ausflucht, um die Menschenverachtung gegenüber der eigenen Belegschaft zu übertünchen. Von den mehr als 6000 Angestellten allein am Unternehmenssitz sind etwa die Hälfte bei Subunternehmen beschäftigt. Das mindert zwar die Rechte der Arbeiter, aber spart Geld, maximiert den Gewinn und erhöht die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Das geht so weit, dass Tönnies Fleisch in Agrarländer wie Rumänien exportiert, Schweinepfötchen aus deutscher Zucht nach China verkauft werden. Wer die dunklen Seiten der Globalisierung sehen will, besuche Rheda-Wiedenbrück, wo der Konzern beheimatet ist.

Jetzt dreht sich der Wind

Vielen Anwohnern im östlichen Westfalen war die Kritik am Unternehmen bislang gleichgültig. Es ist ein sogenannter strukturschwacher Teil Deutschlands, gut bezahlte Jobs sind rar. Der Einfluss von Tönnies auf die Regional- oder Landespolitik kann kaum überschätzt werden. Probleme mit den "Fremdarbeitern" werden gemeinsam möglichst lange unter den Teppich gekehrt.

Doch jetzt dreht sich der Wind: Politiker distanzieren sich von Clemens Tönnies, sogar Mitinhaber der Unternehmens mit Milliarden-Umsatz fordern seinen Rücktritt. Die Anwohner sind wütend, weil als Folge der mehreren hundert Corona-Fälle in der Tönnies-Belegschaft alle Schulen und Kindergärten im Landkreis Gütersloh wieder geschlossen wurden.

Der Blick richtet sich nun auch auf die Bundesregierung: Lässt sie Clemens Tönnies davonkommen? Oder nutzt sie die Gelegenheit für ein Umsteuern in der Agrarpolitik? Richtig wäre, kleinere regionale Schlachtereien wieder zu stärken anstelle von riesigen Fleischfabriken wie Tönnies oder Westfleisch. Am Ende würde das nicht zuletzt bedeuten, dass Lebensmittel in Deutschland teurer werden. Doch Umfragen belegen: Die Mehrheit der Deutschen ist bereit für Fleisch mehr zu berappen. Am Ende darf in Großschlachtereien nicht der Mensch auf der Strecke bleiben.