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Politik

Neuwahlen sind eine Chance

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Charlotte Potts
30. Oktober 2019

Endlich bewegt sich etwas in Großbritannien. Neuwahlen sind der einzige Weg aus dem politischen Stillstand und eine große Chance für das Land, meint Charlotte Potts.

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London Brexit / Flagge vor Uhr am Queen Elizabeth Tower
Bild: Getty Images/AFP/J. Tallis

Diese Hängepartie konnte man kaum noch mit ansehen. Tagein tagaus standen sich die politischen Korrespondenten die Beine in Westminster in den Bauch und berichteten darüber, was nicht passierte im britischen Parlament - kein Brexit, keine zweite Volksabstimmung, kein Verbleib in der Europäischen Union. Und keine Neuwahlen - bis jetzt. Denn endlich tut sich etwas im Vereinigten Königreich!

Die Wahlen am 12. Dezember sind der einzige Weg aus dem Stillstand, der Großbritannien seit über zwei Jahren lähmt. Und sie sind eine Riesenchance für das Land und das Volk - aus diesen drei Gründen:

Ein Parlament braucht eine Mehrheit

(1) Ein Parlament ohne Mehrheiten funktioniert schlicht und einfach nicht. Theresa May war Schuld daran. Sie rief 2017 überraschend Neuwahlen aus, startete mit einem soliden Vorsprung in den Wahlkampf, den sie dann in nur knapp sechs Wochen verspielte. Das Parlament, das daraus folgte, war wie gelähmt: keine Mehrheiten und ständige Strategiespiele. Und in diesem Punkt muss man auch Boris Johnson Recht geben: Das Parlament in seiner heutigen Zusammensetzung ist nicht mehr handlungsfähig. Hinzu kommt ein britischer Premierminister, der nie vom Volk gewählt wurde, sondern nur von zwei Dritteln der konservativen Parteimitglieder. Lediglich 140.000 Tories stimmten im Kampf um die Spitze der konservativen Partei ab. Wenn dieser Premierminister - ohne vorher durch Wahlen legitimiert worden zu sein - den Brexit durchgedrückt hätte, wäre das schlicht undemokratisch gewesen. Jetzt muss sich Boris Johnson den 45 Millionen Briten stellen, die derzeit wahlberechtigt sind.

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Charlotte Potts ist DW-Korrespondentin in London

(2) Die Neuwahlen bieten den Briten die Chance, Klarheit zu schaffen. Drei Jahre nach dem Brexit-Referendum weiß das Volk, wie stark der Ausstieg die britische Wirtschaft und Gesellschaft treffen wird. Der Urnengang ist de facto ein zweites Referendum über den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union. Denn seien wir mal ehrlich: Bei dieser Wahl wird es um nichts anderes als Brexit gehen. Es ist DAS dominierende Thema auf den Straßen.

Und die meisten Parteien haben sich klar positioniert: Die Tories wollen den klaren Bruch mit der EU (mit Johnsons Abkommen). Die Hardliner der Brexit-Partei schließen sich da an. Den Befürwortern des Austritts stehen die Remain-Parteien gegenüber: Die Liberaldemokraten sagen klar, dass sie einen Schlussstrich unter den Brexit ziehen und Mitglied der EU bleiben wollen. Auf gleichem Kurs liegt die schottische Nationalpartei SNP. Wichtig ist nun, dass sich Labour als größte Oppositionspartei endlich zusammenrauft. Und deutlich macht, dass sie zwar für den Austritt, aber eine weiter sehr enge Anbindung an die EU ist.

Oppositionsführer Jeremy Corbyn hat seit dem Referendum die Chance verspielt, eine klare Alternative zum Brexit-Kurs der Tories zu bieten. Diese Unentschlossenheit dürfte ihn nun viele Wähler kosten. So also stehen die Parteien zum Brexit. Für die britischen Wähler heißt es bei der Dezember-Wahl: Entscheiden wir uns für den Brexit und Boris Johnsons Kurs? Oder entscheiden wir uns nach drei Jahren Brexit-Chaos für die pro-europäischen Parteien?

Endlich Klarheit schaffen!

(3) Land und Wähler brauchen eben genau diese Klarheit. Die Unsicherheit, die sich aus dem ständigen Hin und Her ergeben hat, lähmt das Vereinigte Königreich. Alle paar Tage zieht ein weiteres Unternehmen seinen Sitz aus Großbritannien ab. Potenzielle Immobilienkäufer mieten lieber, weil sie nicht wissen was passieren wird. Sozialhilfeempfänger sorgen sich um ihre Sozialleistungen. Mancher Brite hamstert längst Vorräte für den Fall eines ungeregelten Austritts. EU-Bürger in Großbritannien blicken bangend auf jede neue Brexit-Deadline. Parlamentarier erhalten Morddrohungen, weil sie für Remain oder Leave kämpfen. Und erleben gleichzeitig immer mehr Wähler, denen die dauernde Verunsicherung rund um Brexit psychische Probleme bereitet. Kurzum: Das Volk ist Brexit-müde und das Land gespalten. Genau deshalb braucht es Klarheit. Auch wenn das letztlich den Abschied bedeuten kann. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin Vollblut-Europäerin, lebe mit meiner Familie in London und wünsche mir sehnlichst, dass Großbritannien in der EU bleibt. Aber auch mir bereitet jede weitere Verlängerung inzwischen Kopfschmerzen, weil niemand mehr weiß, was als nächstes kommt.

Neuwahlen sind der einzig Weg, um den Stillstand zu überwinden. So die Theorie. Die Realität könnte natürlich ganz anders aussehen: Wenn es zum Beispiel wieder keine klaren Mehrheiten gibt. Machen Sie sich also innerlich lieber schon mal auf die nächste Hängepartie gefasst.