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Die Sache mit dem Fingerspitzengefühl

2. Februar 2020

Der Gelb-Rote Karte gegen Gladbachs Pléa folgt einer verschärften Regelauslegung. Für Frust sorgt, dass die strenge Linie nicht konsequent durchgehalten wird. Das ist allerdings unmöglich, behauptet Andreas Sten-Ziemons.

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Fußball Bundesliga RB Leipzig - Borussia Mönchengladbach
Bild: picture-alliance/dpa/R. Michael

Blöd, wenn nach einem hochklassigen und spannenden Fußballspiel alle über den Schiedsrichter diskutieren. Zwar hat Tobias Stieler beim Topspiel des 20. Spieltags zwischen RB Leipzig und Borussia Mönchengladbach keine schlechte Leistung gezeigt, mit einer Entscheidung aber gab er dem Spiel eine Wendung, die es ohne ihn wohl nicht genommen hätte. In der 60. Spielminute wollte Gladbachs Torschütze zum 1:0, Alassane Pléa, nach einem Zweikampf mit Marcel Sabitzer einen Freistoß bekommen. Als er ihn nicht bekam, reagierte er mit einer wegwerfenden Geste. Stieler bestrafte das mit einer Gelben Karte. Und als der Franzose daraufhin nicht aufhören wollte, direkt vor der Nase des Unparteiischen weiter frustriert abzuwinken, gab es die zweite Gelbe Karte und somit Gelb-Rot.

Der Schiedsrichter handelte damit eigentlich regelkonform, schließlich hatte es in der Winterpause unter den Unparteiischen den Beschluss gegeben, unsportliches Verhalten und Respektlosigkeiten konsequenter zu ahnden als bisher. Hintergrund waren die sich mehrenden, teilweise sogar gewaltsamen Übergriffe gegenüber Amateur-Schiedsrichtern. Die Profis, so der Hintergedanke, sollten durch die härtere Regelauslegung zu einem vorbildlicheren Verhalten bewegt werden, das dann - so die Hoffnung - auch auf die Spieler in den unteren Klassen und in der Jugend abfärbt.

Konsequent inkonsequent

Unter anderem wurde konkret festgelegt, dass ein Spieler, wenn er wegen Reklamierens Gelb gesehen hat und danach weiter protestiert, gnadenlos mit Gelb-Rot vom Platz fliegt. Die Vereine wurden vor dem Rückrundenstart informiert, Pléa hätte es also wissen müssen. "Wir Schiedsrichter haben uns vor der Rückrunde committet, dieses Verhalten strenger zu bestrafen", sagte Stieler nach dem Spiel am SKY-Mikrofon. "Und ich werde nicht derjenige sein, der dieses Commitment bricht."

Kommentarbild von Andreas Sten-Ziemons
Andreas Sten-ZiemonsBild: Slawa Smagin

Nachvollziehbar! Allerdings hätte Stieler - hätte er die Regel tatsächlich konsequent über die Gesamtdauer des Spiels und die Minuten nach dem Abpfiff umgesetzt - mindestens 15 weitere Gelbe und möglicherweise die eine oder andere Gelb-Rote Karte zücken müssen. Direkt nach Pléas Platzverweis standen mehrere Gladbacher Profis direkt vor Stieler und schimpften wie die Rohrspatzen - Gelb sah aber nur Nico Elvedi. Borussen-Torhüter Yann Sommer war extra aus dem Tor zu Stieler geeilt, um mit ihm zu diskutieren - auch das ist nach neuer Regel ein zwingender Grund für Gelb.

Und nach dem Abpfiff kam es zur Rudelbildung, in dessen Mitte sich in der Hauptsache RB-Trainer Julian Nagelsmann und Gladbachs Nationalspieler Matthias Ginter "Freundlichkeiten" an den Kopf warfen und daran gehindert werden mussten, sich gegenseitig an den Hals zu gehen. Offenbar war Nagelsmann, als er den Linienrichter etwas zum Spiel fragen wollte, von hinten gegen Ginter geschubst worden und hatte ihn unabsichtlich gerempelt. Kindergarten! Aber alles Dinge, die auf der Liste der strenger zu sanktionierenden Vergehen stehen - und dabei ist es egal, ob sie vor oder nach dem Abpfiff passieren. Sanktionen gab es aber keine…

Ein Exempel am dummen Profi

Letztendlich blieb unter dem Strich auf Gladbacher Seite viel Frust zurück. Sie forderten, der Schiedsrichter hätte in der Situation mit Pléa "mehr Fingerspitzengefühl" zeigen müssen, statt direkt Gelb-Rot zu ziehen. Fernseh-Experte Lothar Matthäus brachte das Dilemma auf den Punkt: "Wenn du jedes Abwinken mit Gelb bestrafst, spielst du am Ende Drei-gegen-Drei. Wenn wir im normalen Leben nicht korrekt behandelt werden, dann beschweren wir uns doch auch." Auch dieser Meinung kann man etwas abgewinnen, wobei immer noch zu diskutieren wäre, wie respektvoll solche Beschwerden vorgetragen werden.

Daher: Der Gedanke, der hinter der Regelverschärfung steckt, ist nachvollziehbar. Wie das Beispiel RB gegen Borussia zeigt, ist ihre konsequente Umsetzung aber unmöglich. Zumindest dann, wenn man die Spiele nicht komplett kaputtpfeifen möchte. So jedenfalls hat Tobias Stieler - nur auf die Situation mit Pléa bezogen - zwar richtig entschieden, in Nachbetrachtung der gesamten Partie aber, lediglich an einem reichlich dumm agierenden Fußballprofi ein Exempel statuiert.