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Die Türkei: Im Korsett der Realpolitik

Daniel Heinrich Kommentarbild App PROVISORISCH
Daniel Heinrich
24. August 2016

Streit mit der EU, Annäherung an Russland und jetzt auch noch Avancen mit dem Iran. Kopfschütteln ist angebracht, viel mehr aber auch nicht. Denn die Türkei bleibt eng mit dem Westen verwoben, meint Daniel Heinrich.

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Symbolbild EU Türkei Beitritt
Bild: picture-alliance/dpa/C. Petit Tesson

Impulsiv rumpoltern, schnell beleidigt sein, die eigene Ehre verletzt Sehen: Alle drei Dinge gehören zur Türkei wie das Glas Tee für zwischendurch und die Portion Baklava zum Nachtisch. Es sind Wesensmerkmale, die für Taxifahrer, Gemüsehändler oder Fußballer gelten - und auch für die Politikerkaste des Landes.

Vor diesem Hintergrund sind auch die neusten diplomatischen Aussetzer aus Ankara zu verstehen: Einbestellung des österreichischen Gesandten nach einer dämlichen Zeitungsüberschrift? Das ist lächerlich, aber letzten Endes nicht relevant. Die Beschwerde aus Ankara hinsichtlich einer Pro-Öcalan-Kundgebung in der Alpenrepublik? Einerseits: Ungeschickt, fast stümperhaft heraus gepoltert vom türkischen Außenminister. Andererseits: Außenpolitik ist auch immer Innenpolitik, und vor diesem Hintergrund ergeben die Stänkereien aus Ankara durchaus Sinn: Die Bekämpfung der Terrororganisation PKK, deren Anführer Abdullah Öcalan ist, gilt in der Türkei als Staatsräson.

Der Blick nach Westen...

Es ist müßig, die jüngsten diplomatischen Scharmützel auf die Goldwaage zu legen. Denn wer auf der einen Seite zu solchen negativen Ausfällen fähig ist, hat auch häufig ganz viel Liebe zu vergeben. Doch dazu später mehr...

Seit den Zeiten des Osmanischen Reiches orientiert sich die Türkei nach Europa. Seit Gründung der Türkischen Republik ist die westliche Ausrichtung eines der tragenden außenpolitischen Konzepte des Landes. Das weiß der türkische Außenminister, das weiß Recep Tayyip Erdogan und das wissen auch alle anderen Beteiligten. Dabei geht es fürs Erste gar nicht einmal so sehr um luftige europäische Ideale wie die Gleichbehandlung von Minderheiten oder freie Presse- und Meinungsfreiheit. Diese sind unter dem nach dem gescheiterten Putsch ausgerufenen Ausnahmezustand in der Türkei zugegenermaßen ziemlich ausgehebelt.

... und die Gründe dafür

Hinter der Westbindung stecken knallharte realpolitische Überlegungen. Zum einen aus wirtschaftlicher Sicht: Die EU ist mit einem Volumen von über 140 Milliarden Euro der mit Abstand größte Handelspartner der Türkei. Zum anderen aus sicherheitspolitischer Perspektive. Die Türkei ist länger in der NATO als die Bundesrepublik und - im Vergleich zu beispielsweise Frankreich - auch nie ausgetreten. Und sie wird es auch in Zukunft nicht tun. Aufgrund der inneren Fragilität und geostrategischen Lage ist das Land einerseits direkt auf westliche Unterstützung angewiesen und gleichzeitig ein enorm wichtiger militärischer Partner des Westens.

Warum fährt Tayyip Erdogan aber dann nach Moskau? Weil die Eiszeit in den türkisch-russischen Beziehungen nach dem Abschuss des russischen Flugzeugs im vergangenen Herbst zu einem massiven wirtschaftlichen Schaden geführt hat. Warum gibt es neue Avancen zum Iran? Weil Ankara Teheran dringend braucht, um das Chaos im Nachbarland Syrien nicht noch weiter auf das eigene Gebiet schwappen zu lassen.

Porträt Daniel Heinrich
DW-Redakteur Daniel HeinrichBild: DW/M. Müler

Gerade der Fall Syrien zeigt wie stark Ankara an den Westen gebunden bleiben wird. Beide "neuen Freunde", Russland und der Iran, stützen den syrischen Machthaber Bashar al-Assad. Damit stützen sie auch indirekt die kurdischen Waffenbrüder der PKK in Syrien, die YPG.

Die Türkei hatte sich nach anfänglichen Avancen schnell vom syrischen Machthaber abgewandt und als eines der ersten Länder dessen Verhalten im syrischen Bürgerkrieg unmissverständlich verurteilt. Noch immer ist Istanbul der Hauptsitz der syrischen Opposition. Alleine schon aufgrund der notwendigen Sicherung der eigenen Grenze zu Syrien, dem Kampf gegen militante kurdische Verbände und den Terroristen des IS wird Ankara auf der Seite des Westens bleiben.

Erdogans irrelevante Sympathien

Es ist absolut gerechtfertigt angesichts einer wiederholt nach außen getragenen Impulsivität hochrangiger türkischer Politiker verständnislos mit dem Kopf zu schütteln. Gerade auf dem spiegelglatten Feld der internationalen Diplomatie sollten die leisen Töne den Ton angeben. Allerdings sollte man sich auch als vermeintlich kühler Europäer den realpolitischen Gegebenheiten stellen. Es ist vollkommen irrelevant, ob sich Erdogan und seine AKP-Clique heimlich den Muslimbrüdern in Ägypten, den Regierungen in Moskau oder Teheran oder der Führung der Hamas näher fühlen als den Regierungschefs der EU-Staaten, der US-Administration oder Israel. Alle miteinander sind sie fest eingebettet im Korsett einer außenpolitischen Realpolitik, aus denen keiner der Beteiligten rauskommt.

Und falls jemand von türkischer Seite doch noch einige positive Impulse hinsichtlich Westbindung vermissen sollten: Die Annäherung mit Israel läuft nach jahrelangem Stillstand gerade wieder an, an diesem Mittwoch kommt US-Vizepräsident Joe Biden in der Türkei vorbei und vor wenigen Tagen hat man in Ankara erklärt, 2023 Mitglied der Europäischen Union sein zu wollen. Na also. Da ist er doch. Der türkische Liebesbeweis.

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