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Gesellschaft

Die Ära der Narzissten

Kommentarbild Muno Martin
Martin Muno
4. Januar 2020

Donald Trump als Rocky, Wladimir Putin oben ohne, Boris Johnson gibt den Kumpel. Wenn Politiker mit solch billigen Inszenierungen durchkommen, liegt es auch an uns, meint Martin Muno.

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Screenshot Twitter Trump als Boxer Rocky Balboa
Bild: Twitter/realDonaldTrump

Es war Ende November, als ein Tweet des US-Präsidenten mehr Furore auslöste als üblich. Er zeigt eine Fotomontage, auf der der Kopf Donald Trumps kunstvoll auf einen nackten, muskulösen Oberkörper montiert ist. Es war selbstredend nicht der echte Körper Trumps (der bekanntlich zur Fettleibigkeit neigt), sondern der des Filmboxers Rocky Balboa.

Die eher transatlantisch gesinnte Zeitung "Die Welt" schrieb, dass dieser Tweet "ein letzter Beweis für die These ist: Im Weißen Haus sitzt ein Typ mit dem emotionalen Haushalt eines 15-Jährigen." Doch solche Kritik ficht einen wie Trump nicht an.

Warum kommen sie damit durch?

Der US-Präsident ist natürlich nicht der einzige, der seine Allmachtsphantasien öffentlich auslebt. Wenn es um das Ausstrahlen ungehemmter Männlichkeit geht, ist Wladimir Putin unschlagbar- er kann oben ohne immerhin ohne Photoshop. Der Ex-Eliteschüler Boris Johnson stellt sich gern als jovialer Kumpel dar, Recep Tayyip Erdogan gibt den Sultan, Kim Jong Un stellt sich als Orakel dar, wenn er sich auf einem Schimmel abbilden lässt. Und erinnert sich noch jemand an Silvio "Bunga-Bunga" Berlusconi?

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DW-Redakteur Martin Muno

Es ist ja nicht so, dass diese mehr oder weniger alten Männer dieses Spiel nur aus Spaß an der Freud' spielen. Sie machen es vor allem deshalb, weil sie damit erfolgreich sind - selbst in Demokratien: Boris Johnson konnte über den Brexit das Blaue vom Himmel herunter lügen - es tat seinem Wahlerfolg Mitte Dezember keinen Abbruch. Und auch Trumps pubertäres Gehabe findet seine treuen Anhänger, seine Wiederwahl ist wahrscheinlicher denn je.

Warum ist das so? Warum wird das Verhalten dieser Leute nicht als das wahrgenommen, was es ist - nämlich peinlich? Warum kommen sie mit Dingen durch, die noch vor wenigen Jahren undenkbar waren? (Okay: Berlusconi war offensichtlich seiner Zeit voraus.)

Die Antwort ist einfach: Der Narzissmus dieser Menschen findet Anklang, weil in jeder und jedem von uns ein kleiner Narziss steckt. Ein Narziss-chen, das vor allem zum Vorschein kommt, wenn wir uns in den Sozialen Netzwerken darstellen.

Ego-Booster Social Media

Nehmen wir zum Beispiel TikTok, eine Video-Plattform, die monatlich von mehr als einer Milliarde Menschen weltweit genutzt wird und damit erfolgreicher ist als Instagram, Snapchat oder Youtube. Auf TikTok posten Menschen kurze Videos - in der Regel von sich selbst, oft beim lippensynchronen Nachsingen und Mittanzen bekannter Popsongs. Das ist manchmal lustig, oft peinlich und selten richtig gut. TikTok ist der endgültige Beweis für die Wahrhaftigkeit des Andy Warhol-Zitats, wonach in Zukunft jeder einmal 15 Minuten weltberühmt sein werde.

Oder Instagram: Unter dem Hashtag "#Selfie" findet man fast eine halbe Milliarde Fotos oder Videos. Viele Nutzer posten ausschließlich Fotos von sich selbst. Nicht anders ist es in den textbasierteren Netzwerken. Auf Facebook beschäftigen sich die User in 80 Prozent ihrer Posts mit ihrer eigenen Person. Psychologen gehen davon aus, dass wir im normalen Leben aber nur etwa 30 bis 40 Prozent unserer Zeit verwenden, um über uns selbst zu sprechen. Social Media wirkt dadurch als enormer Ego-Booster. Damit sind sie alles andere als sozial.

Dabei ist es ein Irrtum, wenn wir denken, dass Selbstdarstellung konstitutiv für uns ist. Denn unser Selbst entwickelt sich immer nur im Miteinander, in gesellschaftlicher Interaktion. Wenn wir die Welt nur noch durch die Selfie-Brille wahrnehmen, wenn wir nur noch uns selbst sehen und nicht mehr unsere Mitmenschen und wenn wir die sozialen Netzwerke mit sozialem Zusammenleben verwechseln, dürfen wir uns nicht wundern, wenn Leute wie Trump oder Johnson die Macht übernehmen.

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Martin Muno Digitaler Immigrant mit Interesse an Machtfragen und Populismus@martin.muno