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Unterschiedliche Ziele

Matthias von Hein10. Oktober 2014

Innovationspläne, Wirtschaftsabkommen, nur wenig gegenseitige Kritik - beim deutsch-chinesischen Treffen herrscht Einigkeit. Im Kern verfolgen beide Länder aber völlig unterschiedliche Ziele, meint Matthias von Hein.

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Angela Merkel und Li Keqiang in Berlin (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/Hannibal Hanschke

Bei Terminen wie den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen ist vieles von langer Hand vorbereitet. Und dennoch wollte es der Zufall, dass Bundespräsident Joachim Gauck am Vorabend seiner Begegnung mit Chinas Regierungschef Li Keqiang in einer leidenschaftlichen Rede die Erinnerung an die friedliche Revolution vor einem Vierteljahrhundert in der ehemaligen DDR heraufbeschwor: "Zehntausende überwanden ihre Angst vor den Unterdrückern, weil ihre Sehnsucht nach Freiheit größer war als ihre Furcht", sagte Gauck.

Nur Stunden später hieß Gauck im Berliner Schloss Bellevue einen Vertreter jenes Regimes willkommen, das vor 25 Jahren eine friedliche Demokratiebewegung blutig niederschlagen ließ. Und das jeden Versuch der Erinnerung daran gnadenlos verfolgt. Immerhin hat Gauck bei seiner Begegnung mit Li Keqiang Klartext geredet und ausgesprochen, dass sich Chinas KP in der Vergangenheit schwerer Rechtsbrüche schuldig gemacht hat.

Ein weiterer Zufall: Ziemlich genau, als Angela Merkel Chinas Ministerpräsidenten mit militärischen Ehren im Kanzleramt begrüßte, gab das Friedensnobelpreiskomitee in Oslo die diesjährigen Preisträger bekannt. Da fällt es schwer, nicht an die beiden in China geborenen Friedensnobelpreisträger zu denken. Der eine, Liu Xiaobo, sitzt seit 2009 im Gefängnis und soll erst 2020 wieder freikommen. Der andere, der Dalai Lama, musste seine Heimat vor über einem halben Jahrhundert verlassen und kämpft seither einen schweren Kampf für die Minderheitenrechte in seiner Heimat.

Matthias von Hein. Deutsche Welle (Foto: DW/P. Henriksen)
Matthias von Hein, DW-RedakteurBild: DW

Nur am Rande gestört haben unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Demonstrationen in Hongkong und Irritationen wegen der Verhaftung der Mitarbeiterin einer deutschen Journalistin in Peking - die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen wurden mit großer Routine durchgezogen. Und das Ergebnis ist beeindruckend: Wirtschaftsverträge in Milliardenhöhe und zehn Regierungsabkommen. Die sogenannte Innovationspartnerschaft wurde durch ein 35-Seiten-Papier konkretisiert. So wird China im nächsten Jahr Partnerland auf der Computermesse Cebit.

Die Beziehungen sind von großer Tiefe und Breite. Ein neuer strategischer Dialog in der Außen- und Sicherheitspolitik ergänzt die schon mannigfach vorhandenen Gesprächsplattformen, ebenso wie ein Finanzdialog, in den auch die Zentralbanken beider Länder eingebunden sind. Tatsächlich geht kaum etwas in der Welt ohne China. In der Ukrainekrise zum Beispiel hofft die Bundesregierung auf mahnende Worte Li Keqiangs, wenn der von Berlin nach Moskau weiterreist. Und doch: Beim Blick auf die deutsch-chinesischen Beziehungen fühlt man sich an ein Bild erinnert, mit dem man früher die oft sehr unterschiedlichen Erwartungen in deutsch-chinesischen Gemeinschaftsunternehmen beschrieb: "Im gleichen Bett schlafen, aber unterschiedliche Träume träumen."

Tatsächlich ist das Traumthema in der chinesischen Politik sehr präsent: Seit seinem Amtsantritt vor knapp zwei Jahren spricht Staats- und Parteichef Xi Jinping immer wieder vom "Chinesischen Traum“. Anders als der eher am individuellen Glück orientierte "amerikanische Traum“ besteht der chinesische vor allem darin, nationale Stärke zu erlangen. Das spiegelt sich außenpolitisch unter anderem im deutlich aggressiveren Auftreten der chinesischen Regierung im Süd- und Ostchinesischen Meer wider. Im Innern zeigt es sich am verschärften Vorgehen gegen Dissidenten, Blogger und Aktivisten der Zivilgesellschaft. Wenn man umgekehrt auf der deutschen Seite von einem Traum sprechen kann, scheint der sich vor allem in guten Geschäften mit China zu erschöpfen.