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Neue Visumspflicht? Ineffizient und gefährlich!

29. Juli 2015

In den Reihen der CSU werden die Rufe nach Einschränkung der Reisefreiheit für Bürger vom Balkan immer lauter, damit weniger Asylsuchende nach Deutschland kommen. Eine Milchmädchenrechnung, meint Dragoslav Dedović.

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Ankommende Flüchtlinge - Foto: Holger Battefeld (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/H. Battefeld

Wie können deutsche Politiker ihre Wähler bei Laune halten? Ein Mittel: Stimmungsmache auf dem Rücken von bitterarmen Menschen, die aufgrund der Kriege, Verfolgung und Elend nach Deutschland kommen. Das ist zwar unmoralisch aber effizient - besonders für die bayerischen Christsozialen, die seit Zeiten ihres inzwischen fast mythisch anmutenden Parteichefs Franz-Josef Strauß keine demokratisch legitimierte Partei "rechts von der CSU" dulden. Deshalb versucht die Schwesterpartei von Merkels CDU immer wieder mit rechts-konservativen Positionen zu punkten - auch wenn sie dafür da und dort in die unterste Schubblade greift. Man wolle "keine durchrasste Gesellschaft", meinte einmal CSU-Spitzenmann Edmund Stoiber. Und ein anderes Mal hieß es von Parteichef Horst Seehofer, man sei nicht "das Sozialamt für die ganze Welt".

Neuerdings sind die Balkanländer, die noch nicht zur Europäischen Union gehören, an der Reihe, als Projektionsfläche für den routinemäßig wiederkehrenden CSU-Populismus zu dienen. "Ich bin auch dafür, die Visumspflicht für Menschen vom Balkan wieder einzuführen", sagte Horst Seehofer am vergangenen Wochenende.

Aussetzung der Visumfreiheit

Als erfahrener Politiker weiß er, dass die Drohung zumindest halbwegs glaubwürdig sein muss, sonst entpuppt sie sich schnell als leere Worthülse. In Sachen Einschränkung der Visumsfreiheit kann sich der CSU-Chef auf eine EU-Regelung stützen, die 2013 eingeführt wurde - auf Drängen Deutschlands. Demnach kann ein Mitgliedsstaat eine befristete Wiedereinführung der Visumspflicht beantragen, wenn es zu einem plötzlichen Anstieg der Asylbewerberzahlen aus einem Land mit geringer Anerkennungsquote kommt. Das heißt, dass Seehofers Idee zwar populistisch ist, ihre Verwirklichung jedoch im Rahmen des politisch Möglichen liegt.

Vielleicht sieht das offizielle Berlin in diesem Instrument immer noch die Ultima Ratio- ein letztes Mittel und ist nicht sofort willig, sich Seehofers Logik zu eigen zu machen. Das kann sich schnell ändern, wenn das Thema in irgendeinem künftigen Wahlkampf in Deutschland "entdeckt" wird. Dann könnten die Reisewilligen aus Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Albanien und Montenegro "Kollateralschäden" der deutschen innenpolitischen Stimmung werden.

Dragoslav Dedović - Foto: DW
Dragoslav Dedović, Leiter des serbischen Programms der DW

Es gibt aber gute Gründe, dass die Regierung in Berlin die unterste Schubblade des CSU-Populismus wieder leise zumacht und nie wieder anfasst.

Fragile Gesellschaften

Bekanntlich haben die Balkanländer immer noch Nachkriegswehen. Es herrschen Reformstau und hohe Jugendarbeitslosigkeit. Etabliert hat sich eine halb gefestigte Demokratie und die Öffentlichkeit wird dominiert von halbfreien Medien. Die EU-Perspektive ist trotz Aufnahmemüdigkeit im Westen und Transformationsschwierigkeiten vor Ort die einzig verbliebene nichtnationalistische Idee in der Region. Und die einzige täglich erlebbare positive Spur, welche die EU in diesen Ländern seit Jahren hinterlässt, ist nun mal die Visumsfreiheit.

Das zarte Pflänzchen der EU-Annäherung sollte man mit einer Überreaktion aus Deutschland - zum Beispiel mit einem Ende der Reisefreiheit - nicht vergiften. Denn auf dem Balkan sind "Putinisten", Islamisten und andere Rattenfänger stets unterwegs. Wenn Deutschland und die Europäische Union keine Lösung, sondern ein Problem darstellen, dann würden sich desillusionierte Teile der Bevölkerung wieder gegen die EU als "bestrafende Macht" wenden. Das wiederum könnte noch weniger Reformen und noch mehr Demokratiedefizite in diesen Ländern bedeuten. Letztendlich würde die angewandte Seehofersche Logik mittelfristig noch mehr verzweifelte Menschen aus fragilen Balkanländern in die Wohlstandszone katapultieren.

Der zweite Grund, warum die Wiedereinführung der Visumspflicht das Problem nicht dämpfen, sondern verschärfen würde, ist schlichtweg die Ineffizienz dieser Maßnahme. Die ganze Welle der Asylsuchenden aus dem Kosovo - aus dem Land, dessen Bürger immer noch für die Einreise nach Deutschland ein Visum brauchen - zeigt die ganze Unwirksamkeit solcher restriktiven Instrumente. Außerdem würden vor Ort die Schwächsten der Schwachen erneut zu den Leidtragenden.

Europäische Werte

Wie sollten die Balkan-Länder auf Androhungen der Suspendierung der Visafreiheit reagieren? Sollen sie eigene Bürger an der Ausreise hindern? Unter Asylsuchenden sind bekanntlich viele Roma. Sollen die Polizisten anders aussehenden Menschen auf Verdacht an den Bahnhöfen fangen? Aus den Bussen zerren? Ist das kompatibel mit der europäischen Wertegemeinschaft?

Auch wenn Deutschland tatsächlich die Visumpflicht wieder einführen sollte, werden die ohnehin in den Balkanländern nicht beliebten gesellschaftlichen Gruppen - sozial Schwachen, Minderheiten, Roma - zum Sündenbock gemacht. Soziale Standards und Chancengleichheit wären dann ferner denn je zuvor.

Wenn man einigen deutschen Politikern Glauben schenkt, sind die steigenden Zahlen der mit Recht oder Unrecht Schutzsuchenden aus den "sicheren" Balkanländern Grund genug, diese Länder wieder in eine "Reisequarantäne" zu verbannen. Was für eine simple Medizin. "Medice, cura te ipsum", ist man versucht zuzurufen. Arzt, heile dich selbst!

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Ein Mann mit schwarz-grau meliertem Haar blickt in die Kamera
Dragoslav Dedovic Journalist, Autor, Reporter