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Einsatz ohne politische Vision

30. September 2015

In Afghanistan fließt weiter Blut, vor allem das von Zivilisten. Die internationalen Truppen konnten keinen Frieden schaffen, weil das Militär die Aufgaben der Politik schultern sollte, meint Sandra Petersmann aus Kabul.

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Afghanistan Deutschland Bundeswehr Soldaten Kontakt mit Bevölkerung
Bundeswehrsoldaten 2011 im Gespräch mit Dorfbewohnern in der Nähe von KundusBild: picture-alliance/dpa

Müssen wir uns die Schuldfrage stellen? Ja, wir müssen! Ich will versuchen zu erklären, warum: Die Taliban feiern ausgerechnet in Kundus den größten militärischen Erfolg seit dem Sturz ihres Regimes Ende 2001. Damit dürfte auch den letzten politischen Schönrednern in Berlin klar sein: Das deutsche Engagement hat Kundus keinen Frieden gebracht - trotz eines 13-jährigen, milliardenschweren Einsatzes, bei dem viele deutsche Soldaten ums Leben gekommen sind.

Doch es geht längst nicht nur um Kundus und um die Bundeswehr: Die NATO als Ganzes hat Afghanistan keinen Frieden gebracht. In der Spitze hatte das mächtige Bündnis mehr als 130.000 Soldaten in Afghanistan stationiert. Der Kampfeinsatz der NATO-Truppen endete im vergangenen Dezember. Doch in den meisten afghanischen Provinzen fließt weiter Blut - vor allem das von Zivilisten. Der Fall von Kundus jetzt muss also im großen afghanischen Kontext gesehen werden.

Kompliziert und komplex

Und der große afghanische Kontext war schon immer sehr international - Afghanistan war noch nie nur schwarz oder weiß. Oder Gut gegen Böse. Wie verwirrend kompliziert und komplex die Lage in Afghanistan ist, zeigt gerade der Fall Kundus: Durch die nordafghanische Provinz und ihre gleichnamige Hauptstadt ziehen sich wichtige Handels- und Schmuggelrouten. Über diese laufen vor allem Rauschgift und Waffenlieferungen.

Das spült Geld in die Kassen der Kämpfer. Sie gehören zu den Taliban, zu Al Kaida, einige bekennen sich zum "Islamischen Staat", oder sie gehören zu den Milizen der vielen lokalen Kriegsfürsten. Oder sie gehören zur Regierung. Fast alle haben Verbündete im Ausland: in Pakistan, im Iran, in Usbekistan, in Tadschikistan, in Russland, in arabischen Ländern, im Westen.

Eine klare Vision fehlte

Die Zivilisten in Kundus haben also viele Feinde. Sie sind gefangen zwischen vielen unklaren Fronten. Und das ist exemplarisch für das ganze Land. Spulen wir das laufende Afghanistan-Drama mal zurück: Als die US-geführte Afghanistan-Intervention im Oktober 2001 begann, standen Rache und die Jagd auf Osama bin Laden im Mittelpunkt - nicht der Aufbau eines demokratischen Staates. Dem Militär wurden Aufgaben zugewiesen, für die die Politik keine Antworten hatte. Eine klare Vision mit klar formulierten, gemeinsamen politischen Zielen gab es nicht.

Deutsche Welle Sandra Petersmann ARD Reporterin in Afghanistan
Sandra Petersmann, ARD-Hörfunkkorrespondentin für Südasien, zurzeit in KabulBild: DW/Christel Becker-Rau

Das rächt sich heute. Es rächt sich auch, dass die NATO Kriegsfürsten zu Partnern gemacht hat. Viele dieser mächtigen Kriegsfürsten sitzen heute an den Schaltstellen der Macht. Viele schwimmen im Geld, während ihre Milizen die Zivilbevölkerung terrorisieren. Auch in Kundus. Das macht es den Taliban so leicht, verlorenen Boden zurückzugewinnen.

Diplomatische Kraftanstrengung

Die Tür zuzuschlagen und die Afghanen alleine zu lassen wäre die einfachste Lösung. Aber diese Lösung wäre in meinen Augen ein moralisches Verbrechen. Auch wir in Deutschland stehen in der Verantwortung. Auch wir haben die neuen afghanischen Machtstrukturen mit geschaffen und bei der Bevölkerung große Hoffnung geweckt. Ist es ein Zufall, dass gerade jetzt so viele afghanische Flüchtlinge nach Deutschland wollen?

Was Afghanistan braucht, ist eine ehrliche politische und diplomatische Kraftanstrengung, die es beim Einmarsch 2001 nicht gab. Und erst wenn man sich auf die politischen Ziele verständigt hat, kann die Frage beantwortet werden, wie lange die Bundeswehr noch in Afghanistan gebraucht wird. Stellen wir abermals das Militär vor die Politik, wiederholen wir unser politisches Versagen.

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