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Politik

Erdogans Khashoggi-Show

Kommentarbild Hülya Schenk PROVISORISCH
Hülya Schenk
23. Oktober 2018

Jamal Khashoggi sei ermordet worden und er habe handfeste Beweise, sagt der türkische Präsident vor laufenden Kameras. Mit diesem Verhalten untergräbt er die Unabhängigkeit der Justiz, meint Hülya Schenk.

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Erdogan bei AKP-Sitzung im türkischen Parlament
Bild: picture alliance/AA

Die Türkei hätte den Mord an Jamal Khashoggi mit allen ihr zur Verfügung stehenden, rechtmäßigen Mitteln umfassend untersuchen und die Weltöffentlichkeit viel früher über diesen Fall aufklären können. So hätte Präsident Erdogan zweierlei erreicht: Zum einen hätte die Türkei wieder das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft gewinnen können, das in den vergangenen Jahren schwer gelitten hat. Zum anderen hätte die türkische Justiz, die längst im Schatten der Politik steht, in der Türkei selbst etwas Ansehen zurückgewinnen können.

Doch die Türkei hat die Chance der Krise nicht genutzt. Während die ganze Welt wegen dieses Mordes auf die Türkei schaute, hat Erdogan nur seine eigene Show daraus gemacht. Sein Umgang mit diesem Mordfall war weder politisch noch juristisch angemessen.

Der Staatspräsident spricht wie ein Richter

Türkische Polizei und Justiz hatten bereits mit Erfolg ermittelt. Doch was machte Erdogan? Er trug diese Informationen während einer Sitzung der Parlamentsfraktion seiner AKP vor, als würde er eine Anklageschrift oder ein Gerichtsurteil verlesen. Es sei mittlerweile sicher, erklärte er, dass Khashoggi im saudischen Konsulat ermordet wurde. Es gebe handfeste Beweise. So sei es gelungen zurückzuverfolgen, wie die "Teams" - so Erdogan - die den Mord begangen hätten, nach Istanbul gereist seien und anschließend wieder die Stadt verlassen hätten. Auch ein türkischer Staatsbürger habe als Komplize mitgewirkt. Nun sei Saudi-Arabien gefordert, die Hintergründe des Falls aufzuklären.

Kommentarbild Hülya Schenk PROVISORISCH
Hülya Schenk, Türkische Redaktion der DW

Nach türkischer Rechtslage darf nicht einmal die Staatsanwaltschaft so formulieren, das ist nur in einem Gerichtsurteil möglich. Und außerdem gehört es nicht zu den Aufgaben des Staatspräsidenten, Informationen über laufende staatsanwaltschaftliche Ermittlungen bekannt zu geben. Mit seinem Vorgehen missachtete Erdogan also erneut die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz.

Die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, damit eine unabhängige Ermittlung geführt werden kann - das wäre Erdogans Aufgabe gewesen. Doch Erdogan sah die Chance, Vertrauen der internationalen Gemeinschaft zurückzugewinnen und seine Position bei Verhandlungen hinter geschlossenen Türen zu stärken. Also hat er aus dem Fall Khashoggi eine Show gemacht.

Kein Ärger mit dem saudischen Königshaus

Hintergrund des Mordes an dem saudischen Regimekritiker ist einer der härtesten Machtkämpfe innerhalb der arabischen Welt. Der Journalist wurde Opfer des Krieges zwischen der sunnitisch-islamischen Welt sowie den wahhabitischen Arabern. Khashoggi stand den Muslimbrüdern nahe, von denen sich Saudi-Arabien in seiner Existenz gefährdet sieht. Die türkische Regierung steht zwar ebenfalls den Muslimbrüdern nahe, will aber andererseits keinen Ärger mit dem saudischen Königshaus. Das machte die Ermittlungen so kompliziert und vermutlich gingen sie auch deshalb so langsam voran.

Entscheidend ist auch dieser Hinweis von Rechtswissenschaftlern: Laut Wiener Vertragsrechtskonvention ist es juristisch möglich, die eigentlich der diplomatischen Immunität unterliegenden Repräsentanten eines Landes in solch extremen Härtefällen zur Rechenschaft zu ziehen. Doch von dieser juristischen Möglichkeit wurde kein Gebrauch gemacht. Der saudische Generalkonsul hat problemlos die Türkei verlassen können, weil man beide Augen zugedrückt hat. Es wird sichtbar, dass die Türkei nicht in eine Zwickmühle zwischen dem saudischen Regime und den Muslimbrüdern geraten wollte.

Nur die Täter wird man verurteilen, nicht die Auftraggeber

Der Mord wurde nur als gewöhnlicher Mord betrachtet und untersucht. Hinweisen, die zu politischen Implikationen hätten führen können, wurde nicht nachgegangen. Weil jede Spur, die direkt zu Kronprinz Mohammed bin Salman geführt hätte, nur Schwierigkeiten gemacht hätte, wurde gar nicht danach gesucht. Obwohl Erdogan mit seinem Zeigefinger immer wieder auf Saudi Arabien zeigt und Riad auffordert, die 18 Personen, die in Saudi Arabien in Polizeigewahrsam genommen wurden, an die türkische Justiz zu überstellen, scheut er einen Prozess, dessen Folgen bis zur saudischen Königsfamilie reichen könnten.

Deswegen wird jede angebliche Aufklärung des Falls Khashoggi in der Türkei die politische Dimension dieses Mordes gewiss nicht tangieren. Man wird nur den Auftragsmördern den Prozess machen, ohne die wirklichen Drahtzieher zu ermitteln. Wenn der Staatengemeinschaft wirklich daran gelegen ist, den wahren Hintergrund dieses Mordes aufzuklären, dann muss sie die Initiative übernehmen und den Fall an ein internationales Gericht übergeben.

Doch selbst das kann nichts mehr an der Tatsache ändern, dass Erdogan im Fall Khashoggi die türkische Justiz wie ein unmündiges Kind ohne Mitspracherecht behandelt hat.