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Kommentar: EU muss Versuchungen widerstehen

Christoph Hasselbach 23. Februar 2014

Mit den Umwälzungen in Kiew werden die Karten neu gemischt im Verhältnis zwischen der Ukraine und der EU. Doch Brüssel sollte sich nicht von einem Siegestaumel hinwegtragen lassen, meint Christoph Hasselbach.

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DW-Redakteur Christoph Hasselbach, Europa-Redaktion (Foto: DW)
Christoph Hasselbach leitet das Europa-Ressort der DW in BonnBild: DW/P. Henriksen

Ein solches Tempo der Ereignisse hatte wohl kaum jemand für möglich gehalten, am allerwenigsten in der Europäischen Union. Erst am Freitag (21.02.2014) konnten die Außenminister Deutschlands, Polens und Frankreichs, Frank-Walter Steinmeier, Radoslav Sikorski und Laurent Fabius, dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch endlich ein weitreichendes Reformabkommen abringen, während ihre Amtskollegen in Brüssel Sanktionen beschlossen. Einen Tag später war der einst mächtige Janukowitsch von der politischen Bildfläche verschwunden und wurde vom Parlament für abgesetzt erklärt. Die inhaftierte Oppositionsführerin Julia Timoschenko, für die sich die EU so lange eingesetzt hat, ist frei. Das Parlament hat für Ende Mai Neuwahlen angesetzt. Bei allen Unwägbarkeiten, wie sich die politische Situation weiter entwickeln wird - der Weg der Ukraine hin zur Demokratie und nach Europa ist wieder frei.

EU muss Dialog mit Moskau führen

Doch im Triumphgefühl muss die EU gleich mehreren Versuchungen widerstehen: Sie darf sich nicht auf eine politische Seite stellen. Janukowitsch und seine Anhänger - auch der russische Präsident Wladimir Putin - haben die EU als parteiisch bezeichnet, und das mit Recht. Timoschenko oder der vom Boxweltmeister zum Politiker mutierte Vitali Klitschko sind die Brüsseler Lieblinge. Doch Janukowitschs Partei und seine Anhänger müssen auch in Zukunft eine politische Rolle spielen, sonst wird das Land nicht zur Ruhe kommen.

Die EU darf nicht eine politische Begleitung des weiteren Prozesses mit Bevormundung verwechseln. Deutsche, französische oder schwedische Vorstellungen von Demokratie sind nicht eins zu eins auf das Land übertragbar. Die Ukraine muss ihren Weg selbst finden.

Das vielleicht Wichtigste ist: Die EU muss den Dialog mit Moskau führen. Der größte Fehler würde darin bestehen, die russischen Interessen zu ignorieren und die Ukraine als Frontstaat gegen Russland in Stellung bringen zu wollen. Das würde nicht nur die Ukraine zerreißen, sondern auch in einen akuten Konflikt mit Russland führen, mit weitreichenden und möglicherweise verheerenden Folgen.

Mehr Hilfe und Visafreiheit

Egal, wer die Ukraine in Zukunft regieren wird, er wird sich mit schweren finanziellen und wirtschaftlichen Problemen herumschlagen müssen, die jeden demokratischen Fortschritt zunichtemachen können. Deshalb muss die EU mehr Hilfe zusagen als bisher. Nicht bedingungslos und auch nicht im Bieterwettbewerb mit Russland, aber bisher klangen die europäischen Unterstützungsangebote doch allzu kleinlich.

Man muss sich das vergegenwärtigen: Die Gelegenheit, dieses große, wichtige Land an den Westen heranzuführen, kommt vielleicht so schnell nicht wieder. Sich in diesem Moment geizig zu zeigen, könnte alles verderben. Und auch ein anderer ganz praktischer Punkt wird das Bild der EU bei der ukrainischen Bevölkerung prägen. Die Menschen wollen reisen. Ihnen sollte Visafreiheit in Aussicht gestellt werden.

Kein Entweder-Oder

In Russland - aber zum Teil auch im Westen - gibt es viele, die in den Auseinandersetzungen um die Ukraine einen großen geostrategischen Machtkampf am Werk sehen. Sie sollten neu überlegen. Die Ukraine will kein Objekt sein. Wenn die Menschen dort frei entscheiden können, werden sie sich weder mit Haut und Haaren Moskau noch ganz und gar der EU verschreiben. Das müssen sie auch nicht. Wenn die Ukraine eine Brücke zwischen Ost und West sein soll, dann kann sie diese Funktion auch nur ausüben, wenn sie auf beiden Seiten zuhause sein darf.

Es wird schwierig sein, das Präsident Putin klarzumachen, weil er offenbar ganz in den Kategorien des Kalten Krieges denkt. Aber es bleibt dennoch richtig: Eine stabile, wohlhabende Ukraine mit guten Wirtschaftskontakten zu beiden Seiten wäre auch im russischen Interesse. Es könnte allerdings sein, dass Putin vor allem innenpolitische Bedenken hat: nämlich, dass der demokratische Funke nach Russland überspringt. Doch bei aller Rücksichtnahme gegenüber Russland: Das kann nicht das Problem der EU sein.