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Für eine EU ohne Türkei

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
4. August 2016

Autokratien haben keinen Platz in der Europäischen Union. Da helfen auch keine langwierig geführten Beitrittsverhandlungen. Die EU sollte sich von einer Illusion verabschieden, meint Bernd Riegert.

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Besuch des türkischen Premiers Tahib Erdogan bei der EU-Kommission
Die Flagge des Beitrittsbewerbers Türkei im EU-Ratsgebäude in Brüssel: Wie lange noch?Bild: Reuters/Francois Lenoir

Österreichs Bundeskanzler Kern spricht nur aus, was längst allen verantwortlichen Politikern auch in der EU-Zentrale in Brüssel klar ist: Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollten beendet werden. Sie waren wahrscheinlich schon von ihrem Beginn an im Jahr 2005 zum Scheitern verurteilt. Der Präsident der EU-Kommission, Jean Claude Juncker, räumt zumindest ein, dass die Türkei auf Jahre hinaus nicht beitrittsreif sein wird.

Vor elf Jahren hatten die Mitgliedsstaaten der EU noch Hoffnung, dass der damals Europa-freundliche Ministerpräsident Erdogan die muslimisch geprägte Türkei als moderne Demokratie, wirtschaftlich aufstrebend, binnen eines Jahrzehnts in die Gemeinschaft führen könnte. Sein schon damals vorgetragenes Credo, die Türkei werde eines Tages die EU dominieren, ignorierte man in der Union geflissentlich.

Keine Hoffnung auf Fortschritte mehr

Heute ist die Hoffnung dahin. Recep Tayyip Erdogan wandelte sich vom Reformer zum autokratischen Präsidenten, der den Rechtsstaat untergräbt, die Presse- und Meinungsfreiheit einschränkt und neuerdings mit Notstandsdekreten die endgültige Umwandlung des türkischen Staates in ein präsidiales Regime vorbereitet. Seine Ankündigung von gesellschaftlichen "Säuberungen" lassen Schlimmes ahnen.

Erdogan und der Staat, den er geschaffen hat, sind wahrlich nicht beitrittsreif. Er ist ja nicht einmal mehr beitrittswillig. Schon lange vor dem abgewehrten Putsch hat der Präsident 2014 gesagt, es sei ihm "egal", ob die EU die Türkei aufnehme oder nicht. Damals ließ er gerade unliebsame Journalisten mit Hilfe einer willfährigen Justiz verhaften. Die EU solle sich nicht einmischen, europäische Werte gingen ihn nichts an.

Riegert Bernd Kommentarbild App
DW-Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Die Europäische Union klammert sich dennoch an den einmal gefassten Beschluss, Verhandlungen über einen Beitritt mit einem offenen Ergebnis weiter zu führen. Warum eigentlich, wenn doch jeder weiß, dass sie nie zu einem Beitritt führen werden? Wäre es nicht ehrlicher, wie Österreichs Kanzler fordert, reinen Tisch zu machen?

EU nicht aufnahmefähig

Zur Erweiterung der EU gehören natürlich immer beide Seiten. Ehrlich wäre es auch zu sagen, dass die Union heute nicht in der Lage ist, die Türkei aufzunehmen: wirtschaftlich wie institutionell wäre sie überfordert. Aber auch die Bereitschaft in vielen EU-Mitgliedsländern 80 Millionen Menschen aufzunehmen, die aus einem anderen Kulturkreis stammen, ist stark begrenzt. In Deutschland ist die konservative Parteibasis der von Bundeskanzlerin geführten CDU strikt gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei.

Präsident Erdogan selbst hat sich über die Europäer beschwert, welche die Türken nicht haben wollten, nur weil sie Muslime seien. Da ist sicher auch etwas Wahres dran. Vor allem würden die skeptischen EU-Bürger keine Türken wollen, die - wie Erdogan - den Islam als überlegende Ideologie ansehen und verächtlich von der EU als "Christen-Klub" sprechen.

Der Beitritt der Türkei zur EU müsste in jedem Mitgliedsland ratifiziert werden, zum Teil durch Referenden. Da bestünde ohnehin wenig Aussicht auf einen positiven Bescheid. Es ist also höchste Zeit, dass sich beide Seiten auf ein neues Ziel ihrer Gespräche einigen. Eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit und eine Sicherheitspartnerschaft zur Abwehr von Terrorismus sind die Themenkomplexe, an denen beide größtes Interesse haben.

Allein am Zankapfel Zypern scheitert alles

De facto finden Beitrittsgespräche schon seit vielen Jahren nicht mehr statt, ja sie haben eigentlich nie wirklich begonnen. Das liegt daran, dass die Türkei sich seit 2005 standhaft weigert, das EU-Mitgliedsland Zypern überhaupt anzuerkennen. Den Nordteil der Insel hält die Türkei völkerrechtswidrig besetzt. Alle Versuche, dieses Problem zu lösen, sind bislang vor allem am türkischen Widerstand gescheitert. Es ist nicht absehbar, dass der nationalistisch orientierte Präsident Erdogan hier einlenken könnte. Allein deshalb haben Verhandlungen über einen Beitritt wenig Sinn.

Die förmliche Beerdigung der Beitrittsgespräche erfordert einen wahrscheinlich schwer zu erreichenden Beschluss der Staats- und Regierungschefs der EU. Tot sind die Beitrittsaussichten der Türkei schon lange. Die Türkei hat sich leider von der EU entfernt. Der schöne Traum von einer europäischen Türkei ist wie eine Seifenblase geplatzt.

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Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union