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Politik

Freie Chibok-Mädchen - Erfolg mit Beigeschmack

Thomas Mösch
Thomas Mösch
8. Mai 2017

82 weitere der vor drei Jahren aus dem nigerianischen Chibok entführten Mädchen sind frei. Ein Anlass zur Freude, der aber zeigt, dass die Terrorgruppe Boko Haram noch längst nicht am Ende ist, meint Thomas Mösch.

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Nigeria Präsident Muhammadu Buhari und die freigelassenen Chibok-Mädchen in Abuja
Nigerias Präsident Muhammadu Buhari hat die freigelassenen Chibok-Mädchen in der Hauptstadt Abuja begrüßtBild: Reuters/Presidential Office/B. Omoboriowo

Insgesamt sind jetzt mehr als die Hälfte der vor drei Jahren aus Chibok entführten mehr als 270 Schülerinnen wieder frei. Dies ist wirklich ein Anlass zur Freude und ein großer Erfolg für die Regierung von Nigerias Präsident Muhammadu Buhari. Nach Angaben der Kampagne "Bring Back Our Girls" sind nun noch 113 Mädchen aus Chibok verschwunden. Bei dem Versuch, sie freizubekommen, konnte und wollte Buhari sich offensichtlich nicht auf militärische Stärke verlassen, sondern suchte Unterstützung beim Roten Kreuz und bei der Regierung der Schweiz. Die Befreiung der Mädchen war ihm so wichtig, dass er Verhandlungen mit den Terroristen in Kauf nahm und ihnen somit ebenfalls einen Erfolg gönnte: Mehrere ihrer inhaftierten Kampfgenossen wurden im Austausch gegen die Mädchen freigelassen.

An dieser Stelle bekommt die Freude über die Befreiung der Mädchen einen bitteren Beigeschmack: Denn die Verhandlungen und die Absprachen zeigen, dass Boko Haram keineswegs so besiegt ist, wie das nigerianische Militär seit Monaten glauben machen will. Zumindest derjenige Teil der Terrorgruppe, der die Mädchen in seiner Hand hat, ist offensichtlich in der Lage, diese vor dem Zugriff der Militärs zu schützen.

Chibok-Mädchen sind wertvoll

Außerdem zeigen die Umstände der Freilassung, dass die Prominenz der Mädchen zugleich Segen und Fluch ist. Nationale und internationale Kampagnen haben die Entführung in Chibok 2014 zu einem Symbol für das Versagen der damaligen Regierung Nigerias gemacht. Und sie haben das Augenmerk der ganzen Welt auf den bis dahin wenig beachteten Konflikt im Nordosten Nigerias gelenkt.

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Thomas Mösch leitet die Hausa-Redaktion der DW

Während weitere hunderte entführte Frauen und Mädchen kaum Beachtung fanden, wurden die Chibok-Mädchen so wertvoll, dass weder die Terroristen noch die Regierung ihr Leben gefährden wollten. Für ihre Entführer wurden die Mädchen zu einer Lebensversicherung, denn niemand würde einen Angriff auf ein Lager verantworten wollen, bei dem auch Chibok-Mädchen sterben könnten. Vertreter von Regierung und Militär haben das auch mehrmals offen zugegeben. Andererseits wurde ihr Ruhm auch zu einem Fluch für die Mädchen selbst, zumindest für die 21, die im vergangenen Jahr bei einer ähnlichen Aktion freikamen. Sie dürfen auch deshalb nicht in ihrer Dörfer zurückkehren, weil die Regierung fürchtet, Terroristen könnten die berühmten Mädchen erneut entführen.

Und wie geht es nun weiter? Können die Verhandlungswege, die es ja offenbar gibt, auch genutzt werden, um ein Ende des Terrors auszuhandeln? Das Militär hat offensichtlich getan, was es tun kann: Boko Haram ist weitgehend zurückgedrängt, kann aber immer noch punktuell zuschlagen und damit die ganze Region in Unsicherheit halten.

Die Ursachen des Terrors bestehen weiter

Gerade jetzt gilt es außerdem, die Ursachen des Terrors anzugehen: Da ist zum einen die selbst für nigerianische Verhältnisse zum Himmel schreiende Armut im Nordosten des Landes. Hier kann auch die internationale Gemeinschaft helfen, indem sie die wenigen Führungspersönlichkeiten in Nigeria unterstützt, die sich ehrlich für Armutsbekämpfung und insbesondere für den Wiederaufbau des maroden Bildungswesens einsetzen.

Auch politischer Druck ist nötig. Die exzessive Gewalt, die Militär und Polizei in den ersten Jahren gegen die noch kleine Extremistengruppe Boko Haram eingesetzt haben, hat massiv zu deren Radikalisierung beigetragen. Präsident Buhari hat versprochen, dass sich unter seiner Führung die Sicherheitskräfte an die Menschenrechte halten würden. Fortschritte sind da, aber der immer noch nicht aufgearbeitete brutale Einsatz gegen die schiitische Minderheit Ende 2015 ist nur ein Beispiel dafür, dass Buhari und sein Team hier noch sehr viel mehr tun müssen.

Gleiches gilt im Kampf gegen die Korruption, an dem Buhari ehrlich interessiert ist. Aber Berichte über unterschlagene Gelder für Hilfsgüter, die ausgerechnet für die Opfer des Boko-Haram-Terrors bestimmt waren, zeigen, wie weit der Weg auch auf diesem Feld noch ist.

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Thomas Mösch
Thomas Mösch Afrika-Redakteur mit besonderem Blick auf Westafrika, Sicherheit und Ressourcenpolitik