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Glückwunsch Tunesien!

Stefan Ehlert24. November 2014

Die friedliche Präsidentschaftswahl vom Sonntag war ein weiterer Schritt auf dem Weg in eine demokratische Zukunft Tunesiens. Dennoch brauchen die Tunesier noch sehr viel Geduld, meint Stefan Ehlert.

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Wahlen in Tunesien
Bild: Reuters/Z. Souissi

Glückwunsch Tunesien! Wer auch immer bei der Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses in einigen Tagen die Nase vorne haben wird: Die erneute friedliche Abstimmung - schon die zweite in vier Wochen - hat gezeigt, dass dieses Land wohl als einziges im arabischen Raum auf einem guten Weg ist. Libyen zerfällt im Clankrieg, Syrien im Bürgerkrieg, Ägypten hat seine Militärdiktatur wieder, im Jemen herrscht Chaos. Nur ein kleines Land in Nordafrika kriegt die Kurve: Tunesien.

Das schreckliche Beispiel der arabischen Nachbarn mag mit dazu beigetragen haben: Nahezu alle in Tunis haben den Wert von Kompromissen für eine Demokratie erkannt, auch Tunesiens gemäßigte Islamisten von der Ennahda-Partei. Spät, aber immerhin dann doch haben sie eingesehen, dass sie ihre Vorstellungen eines islamischen Staates mit einer höchsten religiösen Instanz in Tunesien auf absehbare Zeit nicht durchsetzen können.

Quälend lange Wartezeiten

Die Tunesier brauchten viel Geduld in den dramatischen vier Jahren, die hinter ihnen liegen. Ein ganzes Land durchlitt eine quälend lange Wartezeit, in der auf allen Ebenen lange zu wenig bis gar nichts entschieden wurde. Zwei politische Morde an Linkspolitikern und zahlreiche Tote durch Terrorangriffe haben die Menschen erschüttert. Der Tourismus kam nicht auf Touren. Das Wirtschaftswachstum brach ein. Die Müllentsorgung brach zusammen. Gestiegen sind die Preise und die Zahl der Arbeitslosen, vor allem unter den jungen Menschen. Viele wandten sich ab von Politik und Staat. Tausende sind als islamistische Kämpfer nach Syrien und in den Irak gereist - Tausende versuchen jedes Jahr die Flucht nach Europa. Die Dividende der Revolution - viele hatten sie sich anders vorgestellt.

Stefan Ehlert ARD Korrespondent aus Rabat
Stefan Ehlert ist derzeit ARD-Korrespondent in RabatBild: Stefan Ehlert

Dennoch muss man sagen: Glückwunsch! Denn hinter Tunesien liegt jetzt ein Jahr des Fortschritts. Das Land hat seit Januar die wohl fortschrittlichste Verfassung, die in der arabischen Welt zu finden ist: Weltlich, recht parlamentarisch und bedacht auf die Gleichberechtigung der Frauen. Die Parlamentswahlen im Oktober - sie waren frei und friedlich - das ist eine absolute Ausnahme in Afrika und auch in vielen anderen Ländern nicht selbstverständlich.

Gespaltene politische Klasse

Doch der Wahlkampf ums höchste Staatsamt hat in den zurückliegenden Wochen erneut deutlich gemacht, wie gespalten Tunesiens politische Klasse ist, wie wenig sich ihre Akteure auf gemeinsame Ideen und Programme verständigen können. Wie sonst ist zu erklären, dass 27 Kandidaten antraten? Kein Wunder, dass die Tunesier politikverdrossen sind. Von den rund acht Millionen Wahlberechtigten hatten sich nur 5,3 Millionen als Wähler registrieren lassen. Wer davon mehr als die Hälfte auf sich ziehen kann, hat am Ende doch nur etwas mehr als ein Drittel der Wahlbürger hinter sich.

Doch der Staat muss für alle Menschen da sein, sonst droht - die arabischen Beispiele mahnen - der Staatszerfall. Ein Staat hat in den Augen der Bürger nur so lange eine Berechtigung, wie er ihnen die versprochenen Dienstleistungen, die nötige Sicherheit, Rechtstaatlichkeit, Infrastruktur und sozialen Rahmenbedingungen eines modernen Staates auch wirklich bieten kann. Ob sich das tunesische Modell in der Praxis bewährt, ob das Parlament die nötigen Gesetze beschließen und die Regierung effektiv regieren wird, das wissen wir noch nicht.

Vor Tunesien liegt jetzt noch die schwierige Phase der Regierungsbildung. Im Parlament hat keine Seite eine Mehrheit, wieder sind Kompromisse gefragt und Gesprächsbereitschaft. Die viel gerühmte Geduld der Tunesier - sie wird auch weiterhin auf die Probe gestellt. Es wurde viel erreicht. Aber noch dürfen wir uns davon nicht zu viel versprechen.