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PolitikGlobal

Warum wir mit Atomwaffen leben müssen

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Felix Steiner
9. August 2020

Mit dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki kam vor 75 Jahren eine neue Form des Grauens in die Welt. Es gibt nur eine einzige sichere Chance, diese Waffen je wieder loszuwerden, meint Felix Steiner.

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Symbolbild Atombombe
Der charakteristische Rauchpilz nach der Detonation einer AtombombeBild: Imago Images/Shotshop

Die Menschen jeder Epoche haben sich stets mit den modernsten Waffen bekämpft, die ihnen zur Verfügung standen, da bringen Verbote rein gar nichts. Denn irgendjemand wird immer das vorhandene Wissen nutzen, um sich einen Vorteil zu verschaffen.

Mit dieser Weisheit hat mich vor knapp 40 Jahren - auf dem Höhepunkt der NATO-Nachrüstungsdebatte - bereits unser Gesellschaftskundelehrer provoziert. Bis zum heutigen Tage hat der kluge Mann - er ist bereits vor einigen Jahren verstorben - recht behalten. Es gibt inzwischen zwar nur noch rund ein Drittel der damaligen Atomsprengköpfe. Aber deren Vernichtungskraft hat sich nur unwesentlich verändert. Wobei das für jeden normal Denkenden eigentlich ziemlich unerheblich ist: Welchen Unterschied macht es, ob sich die Menschheit nun zehn- oder hundertfach auslöschen kann? Einmal reicht ja.

Atomwaffen als Sicherheitsgarant

Viel entscheidender ist, wer inzwischen alles über Atomwaffen verfügt. Mit Pakistan und Nordkorea sind in den vergangenen 40 Jahren zwei Staaten hinzugekommen, welche die Grundprobleme von Rüstungskontrolle und Nichtverbreitungs-Verträgen deutlich machen.

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DW-Redakteur Felix Steiner

Beispiel Nordkorea: Diktator Kim Jong Un traf sich bereits zweimal lachend und Hände schüttelnd mit Donald Trump. Ganz anders ergeht es dem Iran, der noch keine Bombe hat, dem aber (aus gutem Grund) entsprechende Ambitionen unterstellt werden. Und würde die Ukraine - im Wissen um die Annexion der Krim durch Russland - heute noch einmal die Atomwaffen auf seinem Gebiet an Moskau zurückgeben? Wir lernen: Wer über die tödlichste aller Waffen verfügt, lebt sicherer.

Beispiel Pakistan: Das bisher gefährlichste am pakistanischen Atomprogramm ist nicht die chronische Instabilität des Landes, die Unberechenbarkeit seines Regimes oder die traditionelle Feindschaft mit der benachbarten Atommacht Indien, sondern das Geschäftsgebaren von Abdul Kadir Khan, des vielerorts verehrten "Vaters des pakistanischen Atomprogramms". Denn der hat sein technisches Wissen verkauft - erwiesenermaßen nach Teheran, nach Pjöngjang und nach Tripolis. Und wohin sonst noch? Wir wissen es nicht.

Mein Lehrer hatte recht: Es gibt immer jemanden, der sich einen Vorteil verschaffen will. Dass es sich dabei stets um ehrenwerte und von Vernunft gesteuerte Menschen handelt, dürfen wir getrost bezweifeln. Die Existenz von Atomwaffen bleibt genauso wie das Wissen um ihren Bau also eine immerwährende Gefahr.

Der Druck muss von unten kommen

Die USA bleiben bis heute die einzige Macht, die diese brutalste und tödlichste aller Waffen je eingesetzt haben. Und die - weil eben Sieger die Geschichte schreiben - dafür auch nie verurteilt worden sind, obwohl die Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki mit jeweils mehr als 100.000 Toten unmittelbar sowie in den Monaten danach allen Kriterien für Kriegsverbrechen entsprechen. Außerdem haben Historiker längst nachgewiesen, dass die Begründung für die Abwürfe - eine Invasion in Japan mit tausenden toten US-Soldaten überflüssig zu machen - eine grandiose Lüge war. Denn Japan hatte schon zuvor seine Kapitulation angeboten.

Trotzdem glaubt bis heute die weit überwiegende Mehrheit der US-Amerikaner, der Einsatz der Atombomben sei richtig gewesen. Hoffnung macht allein, dass unter den 18- bis 29-jährigen US-Bürgern inzwischen weniger als die Hälfte dieser Überzeugung ist. So wird in Zukunft vielleicht einmal denkbar, dass ein US-Präsident (wie Barack Obama 2016) in Hiroshima nicht nur dazu aufruft, dass die Erinnerung an den August 1945 nie verblassen dürfe, sondern er sich für diese Untat entschuldigt. Der Druck hierfür wird nicht auf internationalen Konferenzen entstehen. Er kann nur von unten, aus der Gesellschaft kommen.

Japan Hiroschima Obama Kranzniederlegung Gedenkstätte
Historischer Händedruck - Barack Obama mit Japans Premier Shinzo Abe am 27. Mai 2016 in Hiroshima Bild: Getty Images/AFP/J. Watson

Das garantierte Ende der Atomwaffen

Sicher - ein solcher Schritt schafft keine einzige Atomwaffe ab. Aber es wäre ein Beginn der Ächtung. Und ein Zeichen der Hoffnung, dass die Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki singuläre Ereignisse bleiben.

Garantiert verschwinden werden Atomwaffen erst dann, wenn die Menschheit ein noch tödlicheres und noch effizienteres Mordwerkzeug erfunden hat. Alles darüber hinaus bleibt wohl reine Utopie. So wie es mein Lehrer schon immer gewusst hat.