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Kommentar: Keine falsche Symbolpolitik gegen Boko Haram!

Thomas Mösch23. Mai 2014

Der UN-Sicherheitsrat hat die nigerianische Terrorgruppe Boko Haram auf die Sanktionsliste Al-Kaida-naher Gruppen gesetzt. Soweit so gut, aber die Herausforderungen liegen anderswo, meint Thomas Mösch.

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Thomas Mösch, Leiter des Haussa-Programms der DW (Foto: DW/Per Henriksen )
Thomas Mösch, Leiter der Haussa-Redaktion der DWBild: DW

Nun ist also Boko Haram auch offiziell in den Kreis der Al-Kaida-nahen Gruppen aufgenommen und wird mit entsprechenden Sanktionen belegt: ein Waffenembargo, das Einfrieren von Konten und Reiseverbote. Und nun? Sicher, dem Antrag Nigerias, die Terrorgruppe mit einem internationalen Bann zu belegen, musste der Sicherheitsrat zustimmen. Doch wenn führende Diplomaten dies nun als einen "wichtigen Schritt" im Kampf gegen den Terror in Nigeria bezeichnen, dann klingt das sehr hohl - auf jeden Fall in den Ohren vieler Nigerianer. War es denn etwa bisher erlaubt, Waffen an Boko Haram zu liefern? Und wer sollen die Personen sein, die man mit Einreiseverboten und Kontosperren belegen will? Außer dem regelmäßig in Videobotschaften auftretenden Abubakar Shekau sind keine weiteren Führungskader bekannt. Und ob, beziehungsweise auf welchen Wegen, die Gruppe international Gelder bezieht, liegt im Dunkeln.

Licht in dieses Dunkel zu bringen hat sich bisher als äußerst schwierig erwiesen. Das betonte auch Frankreichs Präsident François Hollande jüngst auf dem Anti-Boko-Haram-Gipfel in Paris. Außerdem haben ähnliche Beschlüsse gegen andere Terrorgruppen, wie zum Beispiel Al-Shabaab in Somalia, kaum dazu beigetragen, die Aktionsfähigkeit der Kampfgruppen einzuschränken.

Auszeichnung statt Drohung

Die internationale Gemeinschaft muss deshalb aufpassen, dass sie solche symbolischen Akte nicht allzu hoch hängt und damit möglicherweise das Gegenteil von dem erreicht, was sie bewirken möchte. Ein Abubakar Shekau wird es wahrscheinlich eher als Auszeichnung denn als ernsthafte Drohung empfinden, wenn er nun in einem Atemzug mit seinem großen Vorbild Osama bin Laden genannt wird. Man kann sich kaum vorstellen, dass er offizielle Auslandsreisen plant oder Konten in der Schweiz oder der Karibik führt. Bei illegalen Geldtransfers fällt der Mehrheit der Nigerianer zunächst ihre korrupte Politiker-Kaste ein, die immer schamloser Millionen geraubter Staatsgelder ins Ausland transferiert.

Und hier liegt denn auch das eigentliche Problem der Terrorbekämpfung in Nigeria: Wer in Politik und Armee hat dort noch die moralische und machtpolitische Autorität, als ehrlicher und ernstzunehmender Gegner der Terroristen aufzutreten? Boko Haram als gefährliche Terrorgruppe zu bannen ist eine Selbstverständlichkeit. Die wahre Herausforderung liegt jedoch darin, die Führungselite Nigerias dazu zu bringen, ihre Hausaufgaben zu erledigen.

Worin diese Hausaufgaben bestehen, wissen sowohl Präsident Goodluck Jonathan als auch die Opposition in Abuja. Erst im März hat Jonathans Sicherheitsberater Mohammed Sambo Dasuki in einem umfassenden Papier dargelegt, wie eine zivile Strategie gegen den Terror aussehen müsste. Neben einem Entwicklungsprogramm für den verarmten Nordosten Nigerias gehören dazu nach Dasukis Ansicht unter anderem eine Reform des desolaten Bildungssystems und eine ideologische Offensive gegen die fundamentalistische Interpretation des Islam. Trotz dieser Erkenntnisse wird in dieser Richtung in Nigeria in den kommenden Monaten wenig passieren, denn das Land steuert auf die Wahlen im Februar nächsten Jahres zu. Die politischen Führer sind deshalb vorerst damit beschäftigt, sich Mehrheiten zu organisieren. Dabei geht es nicht um Inhalte wie Terrorbekämpfung oder wirtschaftliche Entwicklung, sondern um das Schmieden personeller Allianzen.

Mit wem will Minister Müller reden?

Deshalb macht es auch wenig Sinn, wenn der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller nun ankündigt, schon bald nach Nigeria reisen zu wollen. Mit wem und über was will er da reden? Viele der heute Verantwortlichen auf Bundesebene und in den betroffenen Einzelstaaten werden nach der Wahl nicht mehr im Amt sein. In Nigeria kommt es aber vor allem auf die handelnden Personen an. Wenn zum Beispiel der sehr engagierte Landwirtschaftsminister Akinwumi Adesina nächstes Jahr noch in der Regierung sein sollte, dann würde eine Zusammenarbeit mit ihm Sinn machen. In den Einzelstaaten Nigerias kommt es vor allem auf die Gouverneure an, wie die positiven Entwicklungen in Lagos, aber auch in nordnigerianischen Regionen wie Kano und Jigawa zeigen. Auch auf der Ebene lässt sich erst nach den Wahlen bewerten, ob man verlässliche Partner für eine nachhaltige Entwicklung findet. Eine voreilige Reise Müllers nach Nigeria birgt dagegen die Gefahr, dass diese eher ein innenpolitisches Signal nach Deutschland sendet anstatt vor Ort Veränderungen anzuschieben.

Wenn die deutsche Bundesregierung unbedingt deutlich machen will, dass auch sie im Kampf gegen den Terror an der Seite Nigerias steht, dann wäre Beratung und Unterstützung für die Sicherheitsorgane das Gebot der Stunde. Hier muss sofort etwas geschehen, um die von Boko Haram entführten Mädchen zu befreien und die Menschen im Nordosten Nigerias vor weiteren Angriffen zu schützen. Deutschland verfügt über Erfahrung sowohl bei der geheimdienstlichen Bekämpfung von Extremisten und Terroristen als auch bei der Beendigung von Geiselnahmen. Insofern könnte ein Besuch von Innenminister Thomas de Maizière derzeit sinnvoller sein als der des Entwicklungsministers.