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Kommentar: Keine Nachsicht mit Dschihadisten

Kersten Knipp8. August 2014

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Immer öfter werden internationale Konflikte auch hier ausgetragen. Für die multikulturelle Gesellschaft wirft das drängende Fragen auf, meint Kersten Knipp.

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Friedenskundgebung für Gaza in Bremen 23.07.2014
Bild: N.Steudel/DW

Im westfälischen Bielefeld demonstrieren heute (09.08.2014) die Jesiden. In erster Linie protestieren sie gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat" ("IS", vormals "ISIS"), die im Norden des Irak zur Hatz auf alle Nicht-Sunniten bläst. Wo sie herrscht, müssen Andersgläubige zum sunnitischen Islam übertreten. Weigern sie sich, werden sie verjagt oder ermordet. Zuletzt hatten darunter vor allem die Jesiden, eine Religionsgemeinschaft iranischen Ursprungs, zu leiden. Zu Hunderttausenden wurden sie aus ihrer Heimat vertrieben, Dutzende wurden ermordet.

Indirekt protestieren die Jesiden aber auch für das Recht auf freie Meinungsäußerung in Deutschland. Denn als sie Mitte dieser Woche (06.08.2014) in Herford nahe Bielefeld erstmals gegen das Vorgehen von IS im Irak demonstrierten, wurden einige ihrer Mitglieder von IS-Sympathisanten attackiert und mit Messern verletzt.

Der Vorfall zeigt: Internationale Konflikte werden auch im Einwanderungsland Deutschland ausgefochten. Migranten bringen nicht nur ihre Arbeitskraft oder als Flüchtlinge ihre Schutzbedürftigkeit nach Deutschland. Sie haben auch politische Überzeugungen im Gepäck. Manche bringen, wie die Herforder Sympathisanten des "Islamischen Staats", eine extremistische Ideologie mit, die es ausdrücklich gutheißt, Andersgläubige in den Tod zu schicken.

Kersten Knipp, Deutsche Welle
Kersten Knipp, Deutsche WelleBild: DW/P. Henriksen

Ihre Anwesenheit in Deutschland wirft Fragen auf: Ist das demokratische Gesellschaftsmodell wirklich attraktiv genug, ausnahmslos jeden Zuzügler zu integrieren? Reicht Deutschlands Integrationskraft, um Zuwanderer vom Prinzip gewaltfreier Konfliktaustragung zu überzeugen?

Falsche Toleranz für Fundamentalisten

Bislang hat man in Deutschland dazu tendiert, über das Weltbild mancher Migranten hinwegzusehen. Aus Angst, als rassistisch zu gelten, wollte man im Namen vermeintlicher Toleranz die radikalen Vorstellungen einiger – weniger – Migranten nicht wahrhaben.

Eine solche missverstandene Toleranz ist verantwortungslos. Denn sie beschwichtigt, wo nicht zu beschwichtigen ist. In Herford hat sich gezeigt, wohin das führt. Sie verkennt zugleich das intellektuelle Niveau jener Gesellschaften, aus denen die Migranten kommen. Gerade im Nahen Osten werden erbitterte Debatten über Prinzipien des Zusammenlebens geführt. Die Frage, in welcher Gesellschaft man leben will, wird ebenso leidenschaftlich wie hart debattiert. Anhänger und Feinde der Offenen Gesellschaft stehen sich in deutlicher Abgrenzung gegenüber. Falsche Toleranz können sich gerade die Anhänger der Offenen Gesellschaft nicht erlauben. Die Entwicklung in Syrien, im Irak und zunehmend auch im Libanon zeigt, wozu Dschihadisten willens und in der Lage sind.

Herford Protest von Jesiden 06.08.2014
Jesiden protestieren in Herford gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat"Bild: picture-alliance/dpa

In Deutschland nimmt man die im arabischen Raum geführten Diskussionen schon aufgrund der Sprachgrenze kaum wahr. Dabei könnte man einiges aus ihnen lernen. Etwa, dass die Kontrahenten einander ernst nehmen. Dazu entscheidet man sich in Deutschland erst allmählich. Solange fundamentalistische Ansichten oder Verhaltensweisen nicht in Gewalt umschlagen, ist man in Deutschland geneigt, sie mit dem schwammigen Begriff "Kultur" wenn nicht zu entschuldigen, so doch mit Nachsicht zu beurteilen.

Ob salafistische Prediger, Vollverschleierung oder die Forderung nach Einführung der Scharia: All dies möchte man am liebsten als Teil einer islamischen "Kultur" sehen, die Fundamentalisten wie ein Erbstück mit sich tragen. Lebten diese Menschen nur lange genug in Deutschland, so die Hoffnung, würde sich ihr Weltbild ganz von selbst in Richtung pluralistischer Gesellschaft entwickeln.

Extremismus als Produkt der Moderne

Erst allmählich beginnt man zu verstehen, dass sich Fundamentalismus durch die islamische "Kultur" nicht erklären lässt. Denn diese "Kultur" ist ihrerseits höchst pluralistisch und lässt Raum für die unterschiedlichsten Deutungen. Am allerwenigsten können sich religiöse Extremisten auf sie berufen. Denn der Extremismus ist ein Produkt der Moderne. Er ist das Machwerk von Ideologen, die eines begriffen haben: nämlich, dass nichts solche Schlagkraft entwickelt wie der Glauben an absolute Heilslehren. Egal, ob sie politischen oder (angeblich) göttlichen Ursprungs sind. Die "Kultur" von Extremisten ist nicht anderes als die Weigerung, das eigene Weltbild in Frage zu stellen. Ebenso wenig achten sie die Rechte anderer.

Extremisten darf man darum keinen Rabatt geben, auch dann nicht, wenn sie aus dem Ausland stammen. Ihnen entschlossen entgegenzutreten, ist kein Rassismus. Niemand weiß das derzeit besser als die Jesiden, die gegen den Mord an ihren Glaubensbrüdern durch Dschihadisten auf die Straße gehen. Rassismus wäre, ihnen aus falsch verstandener Toleranz nun nicht zur Seite zu stehen.