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Politik

Keine Spur von Politikverdrossenheit

1. Dezember 2018

Von wegen Qual der Wahl - die CDU ist bei der Kandidaten-Kür für die Merkel-Nachfolge geradezu aufgeblüht, meint Christoph Strack. Ob sich die Parteimitglieder diese Form der Beteiligung noch einmal nehmen lassen?

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Deutschland CDU-Regionalkonferenz in Lübeck
Wer beerbt Angela Merkel? Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbauer oder Jens Spahn (v.l.n.r.)Bild: picture-alliance/dpa/C. Rehder

Die CDU staunt über sich selbst. Am Freitag endete die Reihe der acht Regionalkonferenzen, bei denen sich die drei namhaften Kandidaten für den künftigen Parteivorsitz präsentiert haben. Dieser Prozess hat binnen 15 Tagen die Partei verändert.

Die Debatten darüber, welche Folgen Trennung von Kanzleramt und Parteivorsitz für Angela Merkel haben würden, wichen rasch Analysen des Dreikampfes um ihre Nachfolge. Bisher dienten die unregelmäßig abgehaltenen Regionalkonferenzen nur zur Selbstvergewisserung und Basis-Anbindung ihrer Erfinderin Merkel. Nun bekamen die Teilnehmer erstmals einen Hauch von Mitsprache bei einer wesentlichen Personalentscheidung. Neben den 1001 Delegierten des Bundesparteitags stehen nun mehr 10.000 Parteimitglieder, die irgendwie auch an der Kür des oder der neuen Vorsitzenden beteiligt waren.

Flüchtlings- und Asylpolitik nicht im Vordergrund

Wer erwartet hatte, dass das Großthema der Geflüchteten und der Asylpraxis die Diskussionen dominieren würde, wurde enttäuscht. Ja, es ging an allen Standorten auch um Abschiebungen und Asyl. Aber selbst bei den Konferenzen im Osten dauerte es 60 oder 80 Minuten, bis die heiklen Entscheidungen des Herbstes 2015 zur Sprache kamen. Einen der wenigen unsachlichen Ausrutscher gab es beim Auftakt in Lübeck, als einer der letzten Fragesteller impulsiv davon sprach, binnen weniger Monate seien 1,5 Millionen "in der Wolle antisemitisch" geprägte Menschen nach Deutschland gekommen. Das passte weder den drei Bewerbern noch den Zuhörern in der Halle, wie sie direkt zu verstehen gaben.

Deutsche Welle Strack Christoph Portrait
Christoph Strack hat vier der acht Regionalkonferenzen der CDU besuchtBild: DW/B. Geilert

Stattdessen ging es, oft sehr persönlich und kundig, um die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt, um Pflege und Rente, Bundeswehr und Europa - und wiederholt um die politische Bedeutung des christlichen "C" für die Kandidaten Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz, Jens Spahn. Da fragten von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen nicht professionelle Lobbyisten. Nein, da meldeten sich engagierte und neugierige Parteimitglieder - mit Euphorie selbst noch nach drei Stunden. Sie waren zum Teil weit über 100 Kilometer angereist, um dabei zu sein. Politikverdrossenheit und der angebliche Niedergang einer Volkspartei sehen jedenfalls anders aus.

Nicht selten standen die drei auf der Bühne und redeten nicht gegeneinander, sondern einer für alle. Da ging es nicht um Wahlkampf mit Versprechungen, sondern um den Einblick ins Innere des Systems. Politik will erklärt werden. Die Basis wartet auf solche Erläuterungen genauso wie auf den emotionalen Auftritt. Angesichts von Fake News und in Zeiten, in denen alles mit allem zusammenzuhängen scheint, um so mehr.

Besser als jeder Polit-Talk im Fernsehen

Auf Parteitagen der CDU kocht normalerweise eher selten die große Emotion hoch, packt nur gelegentlich echte Spannung die Delegierten. Tendenziell heikle Themen räumt ja der Bundesvorstand vorher ab. Wie die Partei nun mit der neuen Begeisterung umgehen wird - das wird spannend. Kann sie künftig noch in den Gremien kungeln? Wird sie - was alle drei Parteichefs in spe immer wieder ankündigten - tatsächlich Digitalisierung und Mitsprachemöglichkeit im Netz nutzen? Gibt es bei der nächsten großen Personalentscheidung eine Mitgliederbefragung? Die Regionalkonferenzen haben Begeisterung geschürt und Erwartungen geweckt - folgt da zwangsläufig - vielleicht schon am 7. Dezember - die Enttäuschung?

Und die Regionalkonferenzen sollten auch an ganz anderer Stelle zu denken geben: Die gerade erlebte Veranstaltung sei besser als jeder Polit-Talk im Fernsehen, gaben Teilnehmer immer wieder zu Protokoll. Mit den drei souveränen Rednern war es meist spannend, sie fielen einander selten ins Wort, auch wenn sie durchaus Sticheleien pflegten. Aber es ging ohne das Krawallige und oft Rechthaberische vieler TV-Formate. Das liegt an einer Politikerin und zwei Politikern mit Stil. Sie warben für sich und redeten nicht zuerst gegen andere. Aber das lag auch an der Freude Tausender an Politik jenseits von Schlagworten und kurzen Antworten. Wäre doch schön, wenn das dem ein oder anderen zu denken gäbe.