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Knickern und Knausern

24. September 2015

670 Euro pro Flüchtling will der Bund Ländern und Kommunen zahlen. Mehr als Nothilfe ist das nicht. Für die Integration der Menschen wird viel mehr nötig sein, meint Sabine Kinkartz.

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Geldsack
Bild: Fotolia/Tobif82

Stundenlang haben Bund und Länder auf dem Finanzgipfel ums Geld gefeilscht. Ein großer Wurf ist dabei nicht heraus gekommen. Nur langsam und höchst widerstrebend rückt der Bundesfinanzminister lediglich das Nötigste heraus. Mehr als ein festes Dach über dem Kopf und etwas zu beißen werden mit zwei Milliarden Euro Zuschuss in diesem und gut vier Milliarden Euro im nächsten Jahr kaum zu bezahlen sein, denn unter anderem sollen mit dem Geld auch Abschiebungen finanziert werden.

670 Euro pro Flüchtling und Monat können nur ein Anfang sein. Eine Starthilfe in diesen chaotischen Krisentagen, in denen täglich tausende neue Flüchtlinge in Deutschland ankommen und angesichts zunehmend kühlerer Tage und Nächte schnellstens versorgt werden müssen. Selbst das ist ja immer noch ein Problem, wie man in Berlin am LaGeSo, dem Landesamt für Gesundheit und Soziales sehen kann. Drei Tage und Nächte müssen Flüchtlinge dort durchschnittlich ausharren, bis sie die langen Schlangen vor der Erstaufnahme durchlaufen haben.

Lehrer, Psychologen, Sozialarbeiter

Jetzt wird also wenigstens Geld vorhanden sein, um das Chaos zu lichten und in überschaubare Bahnen lenken zu können. Aber damit ist es ja bei Weitem nicht getan. Es werden Lehrer, Psychologen und Sozialarbeiter gebraucht. Die Kinder müssen in Kindergärten und Schulen gehen, die Erwachsenen Sprachkurse machen und Aus-und Weiterbildungen angeboten bekommen. Es müssen weitaus mehr Wohnungen gebaut werden, als mit 500 Millionen Euro - soviel schießt der Bund erstmal zu - gebaut werden können. Und ganz nebenbei brauchen Städte und Gemeinden noch viel mehr Personal, um die Flüchtlinge, die noch kommen werden, besser empfangen und versorgen zu können, als das derzeit der Fall ist. Immerhin rechnet die EU-Kommission mit fünf Millionen zusätzlichen Asylbewerbern in den nächsten drei Jahren.

Kommentarfoto Sabine Kinkartz Hauptstadtstudio NEU
Sabine Kinkartz, DW-HauptstadtstudioBild: DW/S. Eichberg

Auch wenn die Asylgesetze jetzt verschärft und mehr Flüchtlinge abgewiesen werden, so werden doch Hunderttausende in Deutschland bleiben. Sie in die Gesellschaft zu integrieren, das wird eine Herkulesaufgabe sein und viel Geld kosten. Geld, das vor allem vom Bund kommen muss, denn Länder und Gemeinden sind seit Jahren chronisch klamm. Es ist eine nationale Aufgabe und der Bund hat die breitesten Schultern, um diese Aufgabe zu tragen. Es ist an der Zeit, dass der Bundesfinanzminister offen eingesteht, dass die "schwarze Null" im Bundeshaushalt nicht zu halten sein wird. Kaum jemand würde ihm das übel nehmen in dieser Ausnahmesituation.

Keine Verlierer produzieren

Man möge sich an die Zeit vor sieben Jahren erinnern. Auch damals war Krise, aber es mussten keine Menschen, sondern Banken gerettet werden und dafür war bekanntlich jedes Mittel recht. Am Ende waren es satte dreistellige Milliardenbeträge, die der Staat locker machte. Widerstrebend, ja, und nicht ohne Diskussionen. Aber es wurde gezahlt und auch damals wurde die Aussicht auf einen schuldenfreien Haushalt fallen gelassen. Dabei war die Lage bei weitem nicht so alternativlos wie heute. Banken hätte man in die Pleite rutschen lassen können, Menschen kann man nicht einfach abwickeln. Zumal sich die Flüchtlinge auf der Suche nach einem besseren Leben nicht aufhalten lassen werden.

Das Leben auf der Wohlstandsinsel Deutschland wird nicht so weitergehen wie bisher. Es wird sich einiges ändern, so viel ist klar. Jetzt geht es darum, die Entwicklung politisch so zu steuern, dass es möglichst wenig Verlierer gibt. Denn davor haben viele Deutsche Angst. Schon jetzt ist jeder Zweite skeptisch und bei denen, die gering qualifiziert sind und in schlechten Jobs stecken, sind die Ängste noch größer. Wer ohnehin benachteiligt ist, dem darf es nicht schlechter gehen, weil mehr Geld für Flüchtlinge gebraucht wird. Das wäre gesellschaftspolitisch fatal. Eine nationale Aufgabe muss bewältigt werden. Der Bundesfinanzminister darf jetzt nicht knickern und knausern. Viel Zeit, das einzusehen, hat er nicht.